Ein Abend zwischen Wahnwitz und Familiengeschichte – Rezension Aufführung „Vater unser“ Staatstheater Mainz

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Das Staatstheater in Mainz bringt den Roman „Vater unser“ in einer Inszenierung von Remo Philipp auf die Bühne. Den Roman habe ich gelesen, weil er in Mainz auf die Bühne gebracht werden sollte und er hat mir wirklich gut gefallen. Die Rezension findet ihr unter: https://www.erzaehlwas.de/eine-wahnwitzige-familie-als-fiktion/

Mit diesem heutigen Post eröffne auch die Blogkategorie „Bühne“, unter der sich in Zukunft alles finden wird, was auf Bühnen stattfindet. Der Blog behält also ebenfalls Theater, Lesungen und Konzerte bei und will diesen auch den nötigen Raum geben. Freut Euch deshalb auch auf diese Kategorie.

Ich war äußerst gespannt auf das Ergebnis, denn dem Roman ist immanent, dass wir eine unzuverlässige Erzählstimme haben, die eine Bühne für ein wahnwitziges Spiel um Wahrheit und Fiktion eröffnet. Diese nicht vorhandene Verlässlichkeit ist schwer auf einer Theaterbühne abzubilden, denn hier muss man zeigen, schafft Szenen und kann sie nicht als Schein imaginieren. Ich musste jedoch daran denken, dass es dem Staatstheater Mainz bei der Bühnenfassung von Thees Uhlmann Roman „Sophia, der Tod und ich“ wunderbar gelungen war, ein Spiel um Realität und Imagination abzubilden. Der Roman ist frech, lebt davon, dass er durch das psychiatrische Umfeld die Chance hat, sich dem Bild Österreichs eines Josef Haider mit Wahnwitz entgegenzustellen. Die Bühnenfassung versucht dies zu persiflieren, indem der Psychiater sich als väterlich führender Therapeut inszeniert und dies aber in Joggingklamotten macht. Damit demaskiert das Stück auch den Schein, den Verfechter einer patriarchalen Gesellschaft, gerne versuchen aufrechtzuerhalten, um ihren eigentlichen Machtanspruch zu kaschieren. Simon Braunboeck gibt dieser Figur einen wunderbaren Ton, kann sich aber aus den Inszenierungsgrenzen nicht befreien. Diese überinszeniert bestimmte Passagen, die im Buch deutlich ruhiger daherkommen und damit deutlich bedrohlicher wirkten. Die Hauptfigur Eva ist im Roman eine Meisterin der Inszenierung und gerade dies wird nicht auf die Bühne transportiert. Stattdessen entscheidet man sich, die Figur so darzustellen, dass man in ihr ergründen möchte, woher ihre psychische Störung kommt. Daran musste man im Roman scheitern und dies kann auch auf der Bühne nicht aufgehen. Zudem nimmt man dem Stoff damit die vielfältige Humormöglichkeit und teilweise seine freche Art. Carlotta Hein spielt diese Eva trotzdem mit all der von ihr bekannten Figurenhingabe. Des Weiteren ist sie immer wieder in der Lage, das angelegte Potential zu erweitern und die Zerbrechlichkeit der Figur aufzuzeigen.

Ein Inszenierungsrahmen, der nicht alles Potential abrufen kann

Der Roman ist nicht nur eine Geschichte einer psychotherapeutischen Behandlung, sondern auch eine Familiengeschichte. Im Roman ist das Spannende, dass wir dies nur aus Evas Perspektive erfahren. Die Bühne kann nun den weiteren Familienmitgliedern Raum geben, wobei der Vater wie im Roman durchgehend abwesend bleibt. Daniel Mutlu wird als Bruder Bernhard dem Roman aus meiner Sicht nicht gerecht. Hier geht es jedoch nicht um die schauspielerische Leistung, sondern den Mangel an Inszenierungspotential. Der Bruder wird weniger als Opfer dargestellt, da Eva im Theater eine ernsthafte Zielsetzung verkauft ihn zu schützen. Der Roman lässt offen, wer in diesem Familienspiel Täter:In und Opfer ist. Nur dem Vater wird definitiv eine Schuld eingeräumt und dies dann ästhetisch wunderbar sprachlich in Bezug zur Religion gesetzt. Gerade diese Verbindung zur Religion wird im Bühnenstück nicht offenbar, einzig ein Kreuz an der Bühnenwand erinnert an diese Verbindung. Ansonsten wandelt die Inszenierung zwischen groteskem Spiel und Momenten, wo man mit den Figuren eine dringliche Ernsthaftigkeit verspürt. Getroffen hat das Stück aus meiner Perspektive die Figur der Mutter. Anna Steffens spielt sie als egozentrisches Familienoberhaupt, das jedoch mit dieser Führungsrolle gänzlich überfordert ist. Aus dieser Familienbasis kann das Stück nicht alles Potential hervorrufen. Stark wirkt die Inszenierung, wenn Carlotta Hein das Publikum an dieser Tragik von Eva teilhaben lässt. Die gewählte Darstellungsweise verschließt sich mit der Groteske einer durchgehenden Küchenpsychologie, was absolut gelungen ist.

Fazit

Die fast zweistündige Inszenierung kann aus meiner Sicht nie das komplette Potential der Romanvorlage abrufen. Der gelungene Witz und das Rotzfreche können sich nicht in der gleichen Qualität übertragen, was aber auch am Unterschied Roman und Bühne liegt. Leider verpasst die Inszenierung, dass man den abwesenden Vater über die Beziehung zur Religion ins Stück integriert. Die schauspielerische Darstellung ist wie immer in Mainz von hoher Qualität und so sind es die Grenzen der Regievorgaben, welche dieses Stück etwas hemmen und bei mir nicht für überschwängliche Begeisterung sorgen können. Zudem besteht die Gefahr, dass die überzeichneten, ins Groteske abkippenden Darstellungen ein Publikum überfordern, welches die Romanvorlage nicht kennt.

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Wertung: 🐧🐧🐧

Wer Lust auf das Stück hat, findet unter folgendem Link weitere Informationen: https://www.staatstheater-mainz.com/web/veranstaltungen/schauspiel-22-23/vater-unser

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