Frank, Arno: Ginsterburg

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Während der Leipziger Buchmesse habe ich mir die verschiedenen Messestände angesehen, aber vor Ort auch viele Veranstaltungen besucht. Unter anderem habe ich auf der Messe eine Lesung mit Gespräch mit Arno Frank über seinen neuen Roman „Ginsterburg“, erschienen beim Klett-Cotta-Verlag, erlebt. Mich konnte dieses Buch sofort in seinen Bann ziehen, und ich habe es noch auf dem Messegelände erworben.

Um was geht es:

Ginsterburg ist eine fiktive Kleinstadt irgendwo in der Mitte Deutschlands. Die Nationalsozialisten haben die Macht übernommen und ein neuer Alltag etabliert sich. Die meisten der Bewohner versuchen, sich innerhalb des Systems zu arrangieren. Der junge Lothar träumt vom Fliegen und ist deshalb bereit, sich der Wehrmacht anzuschließen. Seine Mutter ist kritisch, kann seinen Weg jedoch nicht in eine andere Richtung lenken. Weitere Personen des Ortes beginnen sich innerhalb der neuen Machtstrukturen nach vorn zu schieben, andere flüchten in private Geheimnisse. Der Roman veranschaulicht diese unterschiedlichen Leben über den Zeitraum der NS-Diktatur und lässt die Schatten dieser Jahre immer größer werden.

Mein Leseeindruck:

Dieser Roman von Arno Frank lebt von einer fundierten Archivrecherche. Arno Frank berichtete während der Leipziger Buchmesse von der intensiven Arbeit am Buch und dass er bewusst eine fiktive Kleinstadt aus verschiedenen Archiven zusammengesetzt hat. Ziel des Romans war es, für ihn das Mitläufertum in dieser dunklen Phase der Deutschen Geschichte zu ergründen. Er lädt uns dazu ein, sich auf diese Figuren einzulassen, zu beobachten, wohin sie bei all dem Grauen geschaut haben oder ob es ein bewusstes Wegschauen war. Zugleich rückt man so nahe an die Figuren heran, dass man sich fragt, wie man selbst an deren Stelle reagiert hat. Ich habe während meines Geschichtsstudiums in Seminaren zur NS-Zeit die Beobachtung gemacht, dass man im Nachgang immer leicht davon sprechen kann, dass man aufgestanden wäre. Der Roman entfaltet eine Multiperspektive, wählt verschiedene Figuren und deren Entwicklung zu seinen Protagonisten. Im Rhythmus von fünf Jahren beleuchtet die Geschichte ihre Figuren und ihre jeweiligen Entwicklungen. Wir erleben Menschen, die im System mitlaufen möchten, aber auch Karrieristen. Es gelingt Arno Frank, auf diese Weise auszustellen, wie das System der Nationalsozialisten die Menschen in verschiedenen Formen instrumentalisierte. Diese Mischung macht den Roman aus meiner Sicht zu einer besonderen Geschichte über die NS-Diktatur und wie sich das Leben in einer Kleinstadt durch diese verändert. Eine weitere Stärke des Romans ist, dass die Zeit anschaulich beschrieben wird. Arno Frank erklärte hierzu, dass er Method Writing während des Schreibprozesses verwendet hat, er also Essen dieser Zeit zu sich genommen, Musik und Filme von damals konsumiert hat.

Die verschiedenen Figuren werden von unterschiedlichen Motiven in ihrem Handeln angetrieben.  Lothar träumt vom Fliegen und lässt sich deshalb auf die Hitlerjugend ein. Er macht eine steile Karriere und ist begnadeter Kampfflieger und damit wichtig für das Regime und eine Werbefigur. In ihm kommen keine Zweifel an seinen Handlungen auf. Andere Figuren lassen sich bewusst von Ängsten treiben, stellen das eigene Wohl über jenes der Allgemeinheit und verraten damit in ihnen angelegte Überzeugungen. Es ist an dieser Stelle dann nicht nur fehlender Mut, der sie das Bestehende akzeptieren lässt, sondern der Traum, das eigene Leben im gesetzten Rahmen zu führen. Für uns als Lesende ist der Roman dann zugleich eine Reise zu den Enttäuschungen dieser Zeit. Man setzt durchaus Hoffnung in Figuren wie zum Beispiel Lothars Mutter Merle, doch diese bleibt im stillen Widerstand und stellt ihre Liebesaffäre und die Liebe zu ihrem Sohn über ein Aufbegehren gegen das System. Dies mag einerseits enttäuschen und ist doch auf einer anderen Ebene absolut nachvollziehbar. Mich packt der Roman mit dieser wunderbar geschilderten Ambivalenz.

Der Holocaust spielt nur eine abseitige Rolle, dies symbolisiert innerhalb des Textes die Schwester einer überzeugten Nationalsozialistin. Sie war mit einem Juden liiert, kehrt nun in ihre Heimat zurück und bleibt durchgehend Fremdkörper. Ähnlich ist die Abwesenheit des Holocaust innerhalb des Textes, wir als Lesende müssen ihn immer mitdenken, doch der Text muss ihn nicht zentral behandeln. Es ist keine Täterschau, die Arno Frank hier liefert, sondern es sind die stillen Unterstützer, welche zur Stabilität des Systems nachhaltig beigetragen haben, die hier die Hauptrolle spielen. Sprachlich weiß Frank durchgehend zu überzeugen. Schon die Startsequenz mit der Fahrradfahrt des jungen Lothar eröffnet sofort die Bilder dieser Kleinstadt. Fast filmisch durchfährt man die Kleinstadt und ohne den Hinweis auf wehende Fahnen der Nationalsozialisten würde man den aufziehenden Schatten des Regimes zunächst nicht bemerken. Frank setzt auf eine bildhafte Sprache, erzeugt auf diese Weise Lebendigkeit und sorgt für ein flüssiges Lesen. Zudem zeigt die Sprache, dass Frank sich intensiv mit der Zeit auseinandergesetzt hat, denn auch hier werden Begriffe dieser Zeit verwendet und verleihen dem Text eine besondere historische Authentizität. Dieses Buch weiß durchgehend zu überzeugen und ist ein gelungener Roman über die deutsche Vergangenheit und zugleich ein mahnendes Beispiel für unsere Gegenwart.

Fazit:

„Ginsterburg“ von Arno Frank ist ein zeithistorisches Panorama. Der Autor entführt uns in eine Kleinstadt während der NS-Diktatur. Diese aus realen Archiven zusammengesetzte fiktive Kleinstadt ist die Heimat verschiedener Protagonisten, deren Leben und Entwicklung multiperspektivisch dargestellt werden. Wir erleben Mitläufer, aber auch Karrieristen und erhalten somit einen vielfältigen Blick auf die Funktionsweise des Regimes. Arno Frank lässt uns nah an die Figuren heran, zeigt auf, warum sich niemand gegen den drohenden Schatten wendet und welche Motive hinter den Verhaltensweisen stehen. Er wählt hierfür eine Sprache, der es gelingt, authentisch die Vergangenheit lebendig werden zu lassen, bildhaft, fast filmisch durchziehen wir diese dunklen Jahre der deutschen Geschichte. Dabei bleibt der Lesefluss durchgehend erhalten. In Abständen von fünf Jahren werden Spotlights auf die Figuren geworfen und dabei muss man als Leserschaft auch Enttäuschungen verarbeiten und erkennen, dass den Figuren das eigene Wohl näher ist. Dabei gelingt Frank, das Kunststück, die Ambivalenz von Angst und Moral zu zeigen und die Frage in die heutige Zeit zu transportieren: „Wie hätte man selbst gehandelt?“. Für mich war dieses Buch eines meiner Highlights beim diesjährigen Besuch der Leipziger Buchmesse und es konnte mich beim Lesen überzeugen, da es zugleich eine historische Schau, aber auch ein mahnendes Beispiel für die aktuelle Zeit ist.

Autor:Inneninformation

Arno Frank, geboren 1971, ist Publizist und arbeitet als freier Journalist vor allem für den SPIEGEL, die taz und den Deutschlandfunk. Er lebt in Wiesbaden. Zuletzt erschienen von ihm die Romane So, und jetzt kommst du (2017) und Seemann vom Siebener (2023).

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Wertung: 🐧🐧🐧🐧🐧

Titel: Ginsterburg

ISBN: 978-3-608-96648-0

https://www.klett-cotta.de/produkt/arno-frank-ginsterburg-9783608966480-t-8970#buch

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