Rávik Strubel, Antje: Der Einfluss der Fasane

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Auf der Leipziger Buchmesse habe ich viele Anregungen zum Lesen erhalten, im Nachgang noch Literaturbeilagen durchgesehen und damit meine Wunschlisten wie immer vergrößert. Auf meine Leseliste hat es auf diese Weise auch der heute von mir präsentierte Roman geschafft. „Der Einfluss der Fasane“ von Antje Rávik Strubel, erschienen im Frühjahr beim S. Fischer Verlag. Strubel hat sich schon in vorherigen Werken Missbrauchsthemen gewidmet und setzt dies in ihrem aktuellen Roman fort. Das Buch liefert einen aktuellen Blick auf die Medienwelt und den Umgang mit Machtstrukturen.

Um was geht es:

Hella Karl ist Feuilletonchefin und hat in dieser Funktion in einem Artikel über den Theaterintendanten Kai Hochwerth geschrieben. In ihrem Artikel hat sie dessen Machtmissbrauch gegenüber seinen Mitarbeitenden geschildert, welcher darin gipfelte, dass er eine Schauspielerin zu einer Abtreibung zwingen wollte. Der sich daraus ergebende Shitstorm hat für Hochwerth zum Jobverlust geführt. Der Roman setzt jedoch ein, als dies alles schon passiert ist. Ausgangspunkt der Romanhandlung ist der Selbstmord von Kai Hochwerth. Anschließend schildert Strubel die Auseinandersetzung über den Zusammenhang von Artikel und Selbstmord des geschätzten Künstlers.

Mein Leseeindruck:

Antje Rávik Strubel hat sich für eine Darstellungsweise entschieden, die satirische Elemente integriert, zugleich in ihrer Pointierung eindrucksvoll bestimmte Ebenen unserer medialen Gegenwart beleuchtet. Es kommt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Wirkung medialer Ereignisse und damit in Verbindung stehende Verantwortungsgefühle. Hella Karl ist eine vielschichtige und ambivalente Figur. Sie repräsentiert zunächst einen Typus Karrierefrau, der stolz darauf ist, sich eine Machtposition geschaffen zu haben und deshalb die stetige Diskussion über Geschlechterbenachteiligung oder sexuelle Belästigung als Hindernis wahrnimmt. In einer journalistischen Arbeit setzt sie sich stark für einen vermeintlichen Täter ein und erhält im Nachgang Dank von dessen Frau. Diese Rückmeldung ist für sie auch Ausdruck ihrer Macht als Journalistin. Kai Hochwerth ist ebenfalls ein mächtiger Machtmensch, geschätzter Intendant im erfolgsverwöhnten Berlin. Hella Karl trifft ihn mehrfach und verspürt eine gewisse Anziehungskraft, auch wenn Hochwerth in seiner Rhetorik sogleich sein Frauenbild verdeutlicht. Umso überraschender ist es, dass Hella Karl die Verhaltensweisen des Intendanten in einem Artikel aufgreift. Strubel macht nie deutlich, ob die Vorwürfe an den Intendanten korrekt waren, lässt den genauen Inhalt des Artikels außen vor. Die Überschrift ist präsent und diese Verknappung der Darstellung der journalistischen Arbeit ist der mediale Spiegel für unsere aktuelle oberflächliche Informationsgesellschaft. Dieser Roman betont alle Ambivalenzen unserer Gegenwart. Hella Karl ist aufgrund ihrer Vorbehalte gegenüber der „MeToo-Bewegung“ ambivalent. Ähnlich ist dies bei Hochwerth, der im Glauben ihm könne nichts passieren agiert.

Ästhetisch bringt Strubel diese Ambivalenz dadurch zur Geltung, dass sie anderes als die dargestellte journalistische Welt äußerst tiefgründig und pointiert das Geschehen schildert und sich eben nicht nur auf das Oberflächliche konzentriert. Ob es der Schatten des Intendanten nach seinem Suizid ist, der sich über den Roman legt oder die sprachliche Auseinandersetzung mit dem Wort „Nachricht“, Strubel ist in ihrer Sprachpoesie durchgehend auf einem hohen Niveau unterwegs. Es stehen zwei Machtmenschen im Fokus, die vor allem in ihrer öffentlichen Rolle aufgehen. Privat wird Hella Karl nicht als die starke Figur präsentiert, vielmehr drückt sich in ihrer Beziehung zu ihrem Partner viel Unsicherheit aus. Wie Strubel auf einer Lesung im Darmstädter Literaturhaus im Gespräch erläuterte, bietet die Figur des Freundes mit dem Beruf des Architekten die Möglichkeit Baudebatten Berlins als Nebenaspekte zu integrieren. Ich sehe sogar eine Verbindung in der Architekturdebatte über Rekonstruktion vergangener Erscheinungsbilder und dem Roman mit seinem Blick auf mediale Entwicklungen. Bei unserer durch Scoial Media geprägten Informationswelt wünscht man sich manchmal eine Rekonstruktion vergangener Strukturen. In der Architektur stellt man diese her und betont damit aber auch vergangene gesellschaftliche Strukturen. Somit machen diese Aspekte wieder eine Ambivalenz deutlich.

Hochwerth ist Symbolfigur einer patriarchal geprägten Kulturwelt, jedoch ist seine Perspektive nie direkt präsent, sondern er erscheint uns nur aus den Darstellungen von Hella Karl. Diese muss erkennen, dass Nachrichten grundsätzlich Vergangenes einordnen und damit weniger Gestaltungsspielraum haben als von ihr gedacht. Sie hat als Teil des medialen Systems die Kontrolle über genau jenes verloren. Dieser Gefahr war sie sich bewusst, aber muss nun an sich selbst feststellen, wie dieser Kontrollverlust sich auf das eigene Leben ausweiten kann. Clickraten sollen die objektive Berichterstattung nicht verhindern heißt es an einer Stelle und doch muss sie überlegen, ob nicht gerade dies vielleicht auch Grund für Journalist:Innen in Machtpositionen ist. Hochwerth hat seinen Kontrollverlust nach ihrem Artikel schon hinter sich. Er musste schon einen Shitstorm und einen Jobverlust verarbeiten. Für Hella Karl beginnt genau dies mit seinem Suizid und damit wird sie zu einer Spiegelfigur des Intendanten. Die mediale Erregung erklärt Hella Karl zur Schuldigen und diese kann die Kontrolle über die Berichterstattung nicht gewinnen, sondern wird mit ihren eigenen Moralvorstellungen konfrontiert. Auf diese Weise wird Doppelmoral in unserer Gesellschaft deutlich sichtbar und das es intensive Betrachtungen für „Me-Too Fälle“ geben muss. Die Kritik darf jedoch nie dazu führen, dass die patriarchalen Strukturen wieder zugedeckt werden. Die berufliche Abwärtsspirale wirkt sich ebenso auf das Privatleben aus und Hella kann diesem Negativstrudel nicht mehr entkommen. Die soziale Dynamik wird durch externe Medienstimmen, die den intern fokalisierten Darstellungen von Hella entgegengesetzt sind, anschaulich erzählt. Dabei haben wir nie mit irgendeiner der Figuren eine emotionale Bindung und sind trotzdem nah am Geschehen und dies ist ein weiterer ästhetischer Kunstgriff.

Die titelgebenden Fasane sind als Metapher zum einen geeignet das „männliche Aufplustern“ der patriarchalen Strukturen zu symbolisieren. Zum anderen sind Fasane eine elitäre Delikatesse und damit auch Symbol einer geschilderten Welt, die glaubt über Anderen zu stehen. Ebenso werden Fasane bejagt und eine öffentliche Jagd ergibt sich im Roman durch die medialen Strukturen. Somit greift die Metaphorik ebenfalls mit dem Titel nicht zu kurz. Nach der Lektüre dieses Buches bleiben bei mir Fragen offen und dies betont nochmals, dass auch die hier geschilderten Probleme vielfältige Betrachtungsweisen erfordern.  Zugleich zeigt sich, dass gesellschaftliche Abstürze schnell geschehen können.

Fazit:

Antje Rávik Strubel hat einen spannenden Roman mit „Der Einfluss der Fasane“ vorgelegt. Sie widmet sich anhand des Machtmissbrauchs eines Theaterintendaten, dessen Selbstmord und der medialen Berichterstattung. Der Roman beleuchtet unsere Erregungsgesellschaft, in der Doppelmoral und Ambivalenz ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Es wird offensichtlich, dass unsere Gesellschaft intensive Auseinandersetzungen meidet. Pointiert und ästhetisch gelungen zeigt sie zwei Machtmenschen, die in einer sich spiegelnden Figurenentwicklung Kontrollverlust zu spüren bekommen. Die Journalistin Hella Karl muss ihr eigenes Handeln hinterfragen und wird dabei wieder Spielball eines patriarchalen Systems, welches sie lange mit verteidigt hat. Der Roman hält auch an uns als Mediennutzenden den Spiegel vor und wirft die Frage in den Raum „Wie sollte man über Machtmissbrauch berichten?“ und „Welche systematischen Lehren müssen gezogen werden?“. Grundsätzlich lässt Strubel bewusst Fragen offen, möchte ihren Roman nicht als einen Text verstanden wissen, der Rahmenbegrenzungen für Cancel Culture setzt, sondern ein Bewusstsein für unsere mediale Entwicklung schaffen. Dies gelingt dem Roman vor allem aufgrund seiner ästhetisch wunderbaren Komposition und seiner vielschichtig ambivalenten weiblichen Protagonistin.

Autor:Inneninformation

Antje Rávik Strubel veröffentlichte verschiedene Romane. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, ihr Roman „Kältere Schichten der Luft“ (2007) war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und wurde mit dem Rheingau Literatur Preis sowie dem Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet, der Roman „Sturz der Tage in die Nacht“ (2011) stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. 2019 erhielt sie den Preis der Literaturhäuser. Ihr Roman „Blaue Frau“ wurde mit dem Deutschen Buchpreis 2021 ausgezeichnet.

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Wertung: 🐧🐧🐧🐧🐧

Titel: Der Einfluss der Fasane

ISBN: 978-3-10-397171-2https://www.fischerverlage.de/buch/antje-ravik-strubel-der-einfluss-der-fasane-9783103971712

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