Hoppe, Felicitas: Die Nibelungen – Rezension

Am gestrigen Tag habe ich mich schon einmal mit dem Nibelungenlied und einer Neubearbeitung beschäftigt. Heute folgt dann der zweite Teil, denn auch Felicitas Hoppe hat in diesem Jahr ein Buch mit dem Titel „Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm“ im S. Fischer Verlag herausgebracht. Für mich sind Romane von Felicitas Hoppe Pflichtprogramm. Schließlich habe ich mich mit ihrem Gesamtwerk in meinem ersten Studium ausgiebig beschäftigt und meine Abschlussarbeit über Autofiktionalität in ihrem Werk geschrieben. Hoppe liebt das literarische Spiel und dies wird auch in ihrem neuen Roman deutlich. Ich halte sie für eine der klügsten Autorinnen der Deutschen Gegenwartsliteratur und erkenne diese Qualität auch im neuen Werk. Meine Erfahrungen des Museumsbesuch in Worms sind für die Lektüre des Romans definitiv eine gute Grundlage. Passend zu meiner Beschäftigung mit dem berühmten deutschen Mythos hat sich das ZDF am gestrigen Tag in der Sendung Terra X mit dem Nibelungenlied beschäftigt. In dieser Dokumentation wurde nochmals betrachtet, welche Aspekte historisch nachvollzogen werden können. Gleichzeitig bleibt festzustellen, dass es sich um eine Sage handelt und somit in ihrer Gesamtheit nicht historisch nachgewiesen werden kann. Für alle, die sich eingehender damit beschäftigen wollen, sei die Sendung empfohlen:

Große Mythen aufgedeckt – Das Nibelungenlied – ZDFmediathek

Felicitas Hoppe nutzt den Mythos und seine Wirkung und setzt sich mit den Interpretationen auseinander. Schon einmal setzte sie sich mit einer deutschen Sage auseinander, als sie in ihrem autofiktionalen Roman „Hoppe“, den Rattenfänger aus Hameln aufgriff. Bei den Nibelungen ist schon der Untertitel eine Anspielung auf den Stummfilm von Fritz Lang. Hoppe wählt für ihre Darstellung eine Aufführung der Wormser Festspiele. Jedes Jahr wird dort die Nibelungensage aufgeführt und mit dem Blick auf die, von ihr konstruierte, Aufführung bekommen wir den Heldenstoff erzählt. Die Erzählstimme beobachtet das Stück, ordnet es in den Vergleich mit vorherigen Aufführungen ein und reflektiert damit das Geschehene. In einem Mittelteil kommen dann die Schauspieler*Innen zu Wort und bekommen Fragen zu ihrem Rollenverständnis gestellt. Klar ist, dass es hier nicht um einen Stummfilm geht, sondern der Nibelungenmythos immer spricht und weiterverarbeitet wird.

Spiel mit dem Kulturbetrieb

Felicitas Hoppe lädt uns ein das Theaterstück zu verfolgen, lässt dies aber nie unkommentiert geschehen. Sie schafft Neuerungen, da Rollen eingeführt werden, wie die Goldene 13, die den Nibelungenschatz darstellt. Das Dargestellte wird nach dem Einsatz der Requisiten bewertet und auch mit Vorschlägen versehen. Diese Ansätze werden jedoch immer erst diskutiert, wenn das Bühnengeschehen schon im Gange ist. So kreist der Text um das Theaterstück, ohne, dass er dem Dargebotenen eine Richtungsänderung geben kann. Teilweise mutet die Inszenierung äußerst grotesk an, was die Interpretation des tragischen Heldenepos natürlich beeinflusst. Durch diese Kippfigur mit humorvollen Elementen entsteht Distanz zum Geschehen. Jedoch wird nie eine ernsthafte Auseinandersetzung des Textes in Zweifel gezogen. Realitätseffekte setzt Hoppe durch Komparsen des Wormser Ruderclubs oder durch Schüler*Innen eines Gymnasiums. All dies kann ich mir, ohne jemals die Festspiele gesehen zu haben, gut vorstellen. Ein Laie spielt den im Nibelungenlied immer präsenten Tod. Diese Grundlage der Saga spielt auch im Text die entscheidende Rolle. So erklärt einer der Schauspieler, dass dieses Prinzip des Stoffes alle ihren Kopf kosten werde und damit wäre schlussendlich jede der Figuren am Ende ganz bei sich.

Gedenkstein am Siegfriedsbrunnen in Grasellenbach

Schließlich sind wir seit Jahren darauf vorbereitet und haben Karten für die erste Reihe bestellt, um dem Bestatter dabei zuzusehen, wie er, jedes Jahr in einem neuen Kostüm, am Ende immer denselben Speer wirft, um die Geschichte zurück in die alte Ordnung zu bringen.

Hoppe, Felicitas: Die Nibelungen, S.70, S. Fischer Verlag 2021.

Jede/r Besucher*In einer Festspielaufführung weiß, dass alles in einem grausamen Aufeinandertreffen enden wird. Hoppe reflektiert nur an wenigen Stellen die Verwendung des Mythos durch den Nationalsozialismus, Wagners Verfremdungen sind aus meiner Sicht durchaus präsenter. Grundsätzlich stellt sie jedoch auch die dargestellten Heldenfiguren infrage und das oftmals den Frauenfiguren die Rollen als böse Strippenzieherinnen zugeschrieben werden. Ihr Roman spielt mit der Zielsetzung den Mythos in ein altes Ordnungsmuster zu pressen. Der mittlere Teil persifliert den Kulturbetrieb. Darsteller*Innen zeigen auf, dass sie gezwungen sind bestimmte Rollen anzunehmen, um weitere Karriereschritte zu unternehmen, auch wenn sie die Rollen nicht besonders schätzen. Auch bestimmte Bühnenideen wirken wie Satire und doch sind einem ähnliche Kunstgriffe aus Theaterinszenierungen bekannt. Man könnte Hoppes Roman als den Versuch lesen, diesem dominierenden deutschen Mythos seine Ernsthaftigkeit zu rauben. Allerdings erweist sich das Werk als widerspenstig, in dem sich zeigt, dass es immer wieder neue Interpretationen in sich aufnimmt. Ich schätze die Sprachkunst von Hoppe und ihre spielerische Art. Es entsteht keine durchgehende Handlung, sondern der Roman lädt mich ein, Entdeckungen zu machen. Ich habe bei meinem zweiten Durchgehen immer wieder neue Anspielungen entdecken können.

Unterhaltendes Entdeckerspiel

Felicitas Hoppe ist eine Meisterin des postmodernen Spiels mit Verweisen und entzieht dem Geschilderten mit Humor immer wieder die Bodenplatte, nur um sogleich eine neue zu positionieren. Auf diesem Weg zeigt sich ihr gewählter Stoff in seiner gesamten Macht und wird im Roman zum wahren Nibelungenschatz, aus dem Hoppe ein wunderbares ästhetisches Spiel macht. Ich bin natürlich als Hoppe-Fan nicht Mr. Objektiv. Trotzdem ist der Text sprachlich gut zu lesen, aber natürlich ist es eine Herausforderung, da man sich auf das Entdeckerspiel einlassen muss. Die Empfehlung diesen Roman zu lesen gebe ich deshalb Allen, die sich gerne mit literarischen Spielen beschäftigen und muss anmerken, dass man Kenner des Nibelungenstoffes sein sollte, da dies der Text voraussetzt.

Werbung aus Liebe zum Buch

Wertung: 🐧🐧🐧🐧

Felicitas Hoppe:

Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm

ISBN: 978-3100324580

Preis: 22,00€

Die Nibelungen – Felicitas Hoppe | S. Fischer Verlage

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