Auf der Suche nach der eigenen Persönlichkeit inmitten religiöser Kultur – Vowinckel, Dana: Gewässer im Ziplock

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In diesem Monat habe ich Euch mit „bjoernandbooks“ einen meiner liebsten Bookstagrammer vorgestellt. Von Björn nehme ich wirklich viele Empfehlungen ernst und der Einfluss auf meine Leseliste ist sichtbar. Auch in diesem Monat hat er es geschafft, mich mit einer Besprechung auf einen Titel aufmerksam zu machen. Deshalb lest Ihr heute die nachfolgende Besprechung.

Der Alltag eines Teenagers

Die 15-jährige Margarita verbringt ihre Ferien bei den Großeltern mütterlicherseits in Chicago. Damit ist sie abseits ihrer Freunde in Berlin, für einen Teenager keine einfache Situation. Gleichzeitig erhält sie dadurch Pause von ihrem Vater, der in einer Synagoge die Gebete leitet. Die Mutter hat die beiden früh verlassen. Doch in diesem Sommer soll es für Margarita zu einem Wiedersehen mit ihr in Jerusalem kommen. Der Sommer bringt jedoch nicht nur ein durchaus ersehntes Wiedersehen, sondern auch alte schwelende Konflikte wieder hervor. Die Eltern können die Situation, wieder beide für die Tochter zuständig zu sein, nur schwer annehmen und für Margarita erschwert dies ihre Pubertät. Sie weiß nicht genau, wo sie hingehört und kann zudem die ersten sexuellen Erfahrungen nur schwer einordnen.

„Er lief schnellen Schrittes zur Altstadt, wie in einem Leben, von dem er vergessen hatte, dass er es einmal gelebt hatte …“

Vowinckel, Dana: Gewässer im Ziplock, 2023, Suhrkamp Verlag, S.254.

Dieser Roman schafft es, dass wir eine Parallele zwischen den Figuren Vater und Tochter bezüglich ihrer Sinnsuche ziehen können. Nicht nur Margarita durchläuft die Pubertät und sucht nach der eigenen Persönlichkeit. Auch ihr Vater kämpft mit der eigenen Geschichte und seinem Glauben. Margarita ist nach der Trennung mit der Mutter zu seinem größten Lebensinhalt geworden. Daneben ist nur Platz für seinen Glauben, aber wenig für die eigenen Träume. Dana Vowinckel schafft mit ihm eine berührende Vaterfigur, dessen Überforderung und nur schwer zu erfüllender Wunsch nach absolutem Frieden an vielen Textstellen spürbar bleibt. Seine religiösen Bezüge dominieren das Denken und hier gelingt Vowinckel, dass mich die vielen, für mich fremden, Einschübe nicht stören. Zudem hilft ein kleines Glossar am Ende. Die Darstellung jüdischen Lebens ist äußerst einprägsam. Dem Roman gelingt es, mit seinen Figuren ein Netz zu spannen, in dem verschiedene Weisen des Umgangs mit der eigenen Religion und Geschichte sichtbar werden. Mich berührt der Austausch über die Positionen, der auch aufzeigt, mit welcher tragischen Geschichte diese Religion beladen ist. Als Deutscher empfindet man hier immer wieder besonders.

Für die junge Margarita ist der Umgang schwierig, da sie nicht alle Dimensionen erfassen kann. Ihre trotzige Art erscheint an manchen Stellen respektlos, doch der Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem bringt sie, genauso wie ihre Eltern, der eigenen Kultur und der geschichtlichen Tragik näher. Von diesem Moment an gibt es nur noch schwer ein Verdrängen der kulturellen Geschichte.

„Am Ende der Ausstellung ergeben zwei Sätze doch wieder Sinn, groß gedruckt, darunter der Name Abel Herzberg: Nicht sechs Millionen Juden wurden ermordet. Ein Jude wurde ermordet, und das ist sechs Millionen Mal geschehen.“

Vowinckel, Dana: Gewässer im Ziplock, 2023, Suhrkamp Verlag, S.274.

Diese Erfahrungen könnten das Buch erdrücken. Es könnte der Eindruck entstehen, man erinnere wieder nur die schlimme Geschichte. Doch genau das macht Vowinckel nicht. Hier wird jüdisches Leben in seinen Facetten sichtbar, gleichzeitig aber auch ein Familienleben geschildert, wie es sich in anderen Kulturen zeigt. Margarita ist durch das Zusammenkommen ihrer Eltern zum ersten Mal gefangen zwischen verschiedenen Lebenswelten. Sie irrt umher, versucht eine enttäuschte Liebe zu verarbeiten und strudelt dabei in eine erste sexuelle Erfahrung. Ihre innerliche Zerrissenheit wird in wunderbar poetischen Bildern ausgedrückt. Ich kann ihre Emotionen, ebenso wie die der anderen Figuren auf diesem Wege ganz nah an mich heranlassen. Poetisch dicht webt Vowinckel Gedankenströme, mit Erinnerungen und Reflexionen ineinander. An diesen Stellen ist das Buch deshalb äußerst intensiv. Während bei Margarita die Suche nach der eigenen Identität Antriebsfaktor ist, sucht der Vater seinen Antrieb in der Auseinandersetzung mit der Religion. Die Schilderung der Großeltern lässt einen die Bandbreite zwischen Herzlichkeit und Befremden in einer Familie erfahren. Die Mutterfigur ist ein Gegenpol. Sie tritt zum einen dominant auf und doch zeigt sich auch in ihr, dass sie die Mutterrolle vor große Herausforderungen stellt. Der Umgang mit ihrer eigenen Mutter macht gelegentlich eine Hilflosigkeit sichtbar. All dies sorgt dafür, dass ein intensives Familienleben sichtbar wird.

Fazit

Dieser Roman beeindruckt mit seinen Figuren. Diese sind wunderbar getroffen. Man mag sie und weiß zugleich, was man an ihnen nicht leiden kann. Die Identitätssuche mit einem nur schwer zu erreichenden Heimatgefühl ist emotional beim Lesen spürbar. Die Darstellung der religiösen Bindung des Vaters ist mir jedoch an einigen Stellen zu stark. Zudem distanziert sich Margarita im Buch auch an der ein oder anderen Stelle von mir als Lesendem. Dies sind jedoch meine einzigen Kritikpunkte, die ich auch nicht an handwerklichen Aspekten festmachen kann. Ansonsten hat mir „bjoernandbooks“ erneut einen tollen Lesetipp gegeben. Ich kann das Buch wärmstens empfehlen, zumal es für mich jüdisches Leben noch einmal ganz anders zeigen konnte.

Werbung aus Liebe zum Buch

Wertung: 🐧🐧🐧🐧

Dana Vowinckel: Gewässer im Ziplock

ISBN: 978-3-518-47360-3

https://www.suhrkamp.de/buch/dana-vowinckel-gewaesser-im-ziplock-t-9783518473603

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