Edelbauer, Raphaela: Das flüssige Land

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Bisher habe ich alle Romane von Raphaela Edelbauer gelesen und halte sie für eine der spannendsten Autor:Innen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. In meinem heutigen Post möchte ich ihren ersten Roman „Das flüssige Land“, erschienen 2019 bei Klett-Cotta vorstellen, mit dem sie damals für den Deutschen Buchpreis vorgeschlagen war. Der Roman zeigt auf, wie Edelbauer Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in ihrem Schreiben miteinander verschränkt.

„Der Hohlraum unter dem Parkett, dachte ich in aufmerksamen Momenten. Ob diese Formulierung vielleicht auf das Verdrängte in ihrem Kopf hindeutete? Das war ein deprimierender Gedanke: dass sie zuletzt von ihrem Verfall noch nichts wusste.“

Edelbauer, Raphaela: Das flüssige Land, 2019, Klett-Cotta Verlag, S.186.

Nachdem die Eltern von Ruth Schwarz bei einem Autounfall ums Leben kommen, möchte sich die 35-jährige Physikerin mit der Geschichte ihrer Eltern intensiver auseinandersetzen. Sie möchte ihre Herkunft und Lebensgeschichte in Vorbereitung zu einer Trauerrede bei der Beerdigung erkundigen. Ihre Eltern stammten aus einem österreichischen Dorf und sind seit den Kindheitstagen miteinander bekannt gewesen. Das Dorf heißt „Groß-Einland“ und übt sogleich eine ungeheure Faszination auf die Erzählerin Ruth aus. Das Dorf wirkt archaisch in seiner Sozialstruktur und den mittelalterlich anmutenden Gassen und zugleich ist es ein bedrohter Ort, dessen Untergang man mit Technik und Neuerungen begegnen möchte. Unter dem Dorf befindet sich ein riesiger Hohlraum, der den Boden stabilisiert und für Risse sorgt. Der schöne Fleck dieses geschilderten Österreichs ist somit bedroht. Archaisch ist das Dorf auch in der bestehenden Machtstruktur, denn diese wird von einer Gräfin ausgeübt. Deren Macht ergründet sich allerdings auf der Ausnutzung von Zwangsarbeitern aus der NS-Diktatur, und so wird das Loch unter dem Dorf zugleich zu einem Ort des Verschwindens unerwünschter Vergangenheit. Ruth Schwarz hatte zunächst nicht vor, lange an diesem Ort zu verweilen, doch er beeindruckt sie mit seiner scheinhaften Idylle und den Dorfbewohner:Innen die zugleich unnahbar und doch interessiert an der Fremden wirken. Zudem sieht die Gräfin in der leistungsstarken Physikerin die Chance, die zunehmenden Risse im Boden des Dorfes zu verringern und somit einen Untergang des Dorfes zu verhindern. Ruth weiß nicht, wie ihr dies gelingen soll, doch der Gräfin darf man ihre Wünsche nicht abschlagen. Während ihre eigentliche Arbeit an ihrer Doktorarbeit in den Hintergrund gerät, zeigt sich in der erfolglosen Arbeit für die Gräfin eine systematische Verdrängungsstrategie. Außerdem gibt es in diesem Dorf kein nachvollziehbares Bargeldsystem, sondern man leiht sich Geld nach nicht ganz verständlichen Grundsätzen.

Raphaela Edelbauer erschafft eine Traumwelt, die auf wunderbare Weise dramatische Ereignisse der Vergangenheit mit jenen von Gegenwart und Zukunft verschränkt. Mit der erzählenden Figur Ruth folgen wir dem Romangeschehen mit neugierigem Blick und Edelbauer schildert alles präzise und auf hohem sprachlichem Niveau. Die dargestellte Welt erinnert in vielen Funktionsweisen an unsere Gegenwart. Die verdrängte Auseinandersetzung mit der von Gewalt gekennzeichneten Geschichte ist eine Parallele, aber auch das Verdrängen der Bedrohung durch die Natur erinnert an unseren Umgang mit dem Klimawandel. Zugleich hat die gewählte Erzählstruktur eine weitere Folge, denn Ruth zeigt sich als Erzählerin, die mit dem Blick auf ihre eigene Rolle immer wieder offenbart, dass sie alles andere als zuverlässig ist. Somit ist ihr bei den Schilderungen des mysteriösen Dorfes ebenfalls nicht zu trauen. Mich hat die Erzählung in ihrem Umgang mit Verdrängungsmetaphorik schnell in ihren Bann gezogen. Verdrängung und die Suche nach der eigenen Vergangenheit, der Tod der Eltern und das daraus folgende Nichtkümmern um ihre Beerdigung sind allesamt Motive des bewussten Versteckens. Die immer wieder zutage tretenden Parallelen zu gesellschaftlichen Themen unserer Zeit sind spannend und wunderbar in die Gesamtkomposition des Romans eingefügt.

Fazit

Raphaela Edelbauer kann mich mit diesem Roman überzeugen; die intensive und präzise sprachliche Ausgestaltung des Romans verbinden sich mit seiner komplexen geschilderten Welt. Edelbauer verknüpft Verdrängungssymbolik unterschiedlicher Art zu einer Dorfwelt, die mit ihrer Ambivalenz und den mysteriösen Eigenheiten fasziniert. Die Geschichte bezieht ihre Spannungsmomente aus verschiedenen Aspekten und sorgt somit insgesamt für einen tollen Gegenwartsroman.

Autor:Inneninformation

Raphaela Edelbauer (1990) studierte am Institut für Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Sie war als Journalistin tätig und veröffentlicht seit 2009 als Schriftstellerin. Für ihren Debütroman „Das flüssige Land“ war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert, für ihren Folgeroman „DAVE“ erhielt sie den Österreichischen Buchpreis.

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Wertung: 🐧🐧🐧🐧

Titel: Das flüssige Land

ISBN: 978-3-442-77009-0

https://www.penguin.de/Taschenbuch/Das-fluessige-Land/Raphaela-Edelbauer/btb/e553702.rhd

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