Czienskowski, Paulina: Taubenleben + Gegen die emotionale Verkümmerung – Rezension

Und dann sagt sie: „Ich glaube ans Leben, weißt du.“

„Ist das nicht zu simpel?“

„Nicht weniger als dein Glauben an einen Weg der jedem vorgeschrieben sein soll.“

„Aber ans Leben zu glauben, das klingt so, als würde man einfach nur zu faul sein, um wirklich darüber nachzudenken, was das Leben überhaupt bedeutet.“

„Nein, das nennt man Vertrauen, Lois.“

Czienskowski, Paulina: Taubenleben, S.73 Blumenbar 2020

Für mich zeigt sich in diesem Zitat ein entscheidendes Momentum des Romans „Taubenleben“ von Paulina Czienskowski. Die Hauptfigur Lois und ihre Mutter versuchen eine Kommunikation zu finden, die sich auf den hier dargestellten Unterschied herunter brechen lässt.

Ich konnte Paulina Czienskowski bei einer Lesung in der Centralstation Darmstadt erleben. Mich hat die Autorin mit ihren lebensnahen Antworten beeindruckt. Die Moderation hätte an einigen Stellen sicherlich noch stärker auf ihr Werk eingehen können, denn aus meiner Sicht kann man sich über „Taubenleben“ gut unterhalten. Da mir der Abend gut gefallen hat, möchte ich Czienskowski mit ihrem neuen Buch und mit ihrem vorherigen Werk „Gegen die emotionale Verkümmerung“ auf meinem Blog vorstellen. Letzteres ist im Korbinian Verlag erschienen und dieser Verlag ist meine persönliche Jahresentdeckung.

Die beiden Bücher von Czienskowski präsentieren uns Figuren, die geschätzt in den Zwanzigern sind und sich Themen stellen, die um den Sinn des Lebens kreisen. Für mich sind es jedoch keine Bücher im Coming of Age Style. Dies hängt damit zusammen, dass die Autorin sich als genaue Beobachterin erweist und den Büchern eine Tiefe verleiht, die auch manche Rezensenten aus meiner Sicht nicht erkannt haben. Somit versuche ich mich mal daran, meine Freude über die Texte auszudrücken.

Um was geht es?

Taubenleben:

Die Hauptfigur Lois lebt mit Mitte Zwanzig in einer Großstadt und sucht nach Antworten auf große Fragen des Lebens. Der Tod des Vaters hat eine Lücke hinterlassen, die auch besteht, weil keine klare Kommunikation über das Ableben mit ihrer Mutter stattgefunden hat. Neben dieser für Lois unbefriedigende Mutter-Tochter-Beziehung findet sie auch ansonsten keinen Halt und flüchtet sich in spontane sexuelle Begegnungen. Dies führt dann auch zur Gefahr einer AIDS-Infizierung, was zu noch mehr Nachdenken über das eigene Leben führt.

Gegen die emotionale Verkümmerung:

In einer Sammlung aus Selbstreflektionen, Gesprächen und Chatprotokollen erleben wir ein Liebespaar, das sich über die eigene Trennung und die daraus entstehenden Folgen klar werden muss.

Mein Eindruck der Bücher

Im zuerst erschienen Buch „Gegen die emotionale Verkümmerung“ zeigt sich die tolle Beobachtungsgabe. Die Chatprotokolle könnten durchaus in ähnlicher Form auch aus dem eigenen Telefonspeicher stammen und haben deshalb eine starke Wirkung. Ich lese Sätze, die auch aus eigenen Gedankenbildern bekannt sind. Dem Thema Beziehungsende hat sich auch schon jeder mal stellen müssen und kennt somit auch die Situation der Figuren. Durch die Zusammenstellung verschiedener Situationen geht es nicht um einen gezielten Figurenfokus, sondern auf diese Weise verallgemeinert sich das Geschilderte. Prägnante Sätze zeigen auf, wie man sich in bestimmten emotionalen Situationen vielleicht auch selbst verkennt. Ergänzt wird dies durch Wut und Schmerz, die sich stetig abwechseln. Durch die sprachliche Nähe wird die Leserschaft dicht an die Probleme herangeführt. Damit verbindet sich das Erzählte mit dem Titel und setzt ein Signal für Emotionalität.

„Taubenleben“ setzt hingegen auf einen Figurenfokus, nämlich auf die Hauptfigur Lois. Diese berichtet uns von ihrer Angst sich mit AIDS infiziert zu haben, dem Leben als Halbwaise und der als negativ empfundenen Sprachlosigkeit der Mutter. Dabei wird keines der Probleme priorisiert und es entsteht eine Gleichmäßigkeit. Diese verbindet sich mit der Angst, als Person in der Masse unterzugehen. Die titelgebenden Tauben fungieren als Symbol für diese Angst. Vom Vater hat Lois erzählt bekommen, dass sich Tauben bei Suizidgedanken vor ein Auto stürzen und das ihr Tod in der Masse der Taubenüberpopulation untergeht. Immer wieder greift sie auf den Vater zurück, da sie die Mutter als sprachlos erlebt und so keine Antworten erhält. Doch der eingangs zitierte Dialog ist für mich Signal weiterer Kommunikationsprobleme. Lois wünscht sich eindeutige Antworten, die es nicht geben kann und möchte bestimmte Wahrheiten umgehen.

Im Dialog mit der Mutter wird deutlich, dass Lois nicht das Vertrauen ins Leben spürt. Den Grund dafür sieht Lois in der Erziehung ihrer Eltern. Eine Lebensbetrachtung, die Klarheit von sich weist ist für Lois nicht wünschenswert, weshalb sie sich eine Vorbestimmtheit wünscht. Dabei ist die Aussage der Mutter der vielleicht notwendige Lebenstipp, endlich Vertrauen in das eigene Handeln zu finden. Paulina Czienskowski braucht für diese Darstellung keine großen Sprachbilder, sie zeigt uns ihre Figuren in einer alltäglichen Normalität, die genügend Raum für Emotionalität lässt, ohne dabei aufgeregt zu wirken. Ich habe beide Bücher gerne gelesen und freue mich auf weitere Texte.

Paulina Czienskowski:

Taubenleben

Blumenbar Verlag

ISBN: 978-3-351-05063-4

Preis: 20,00€

https://www.aufbau-verlag.de/index.php/taubenleben.html

Paulina Czienskowski:

Gegen die emotionale Verkümmerung

Korbinian Verlag

ISBN: 978-3-9817583-5-1

Preis: 10,00€

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