DeLillo, Don: Die Stille – Rezension

Waren sie einander ein Rätsel, wie eng sie auch immer miteinander zu tun hatten, jede Person so selbstverständlich abgekapselt, dass sich er oder sie einer endgültigen Festlegung einer festen Einschätzung durch die anderen Anwesenden entzog.

DeLillo, Don: Die Stille, S.70 Kiepenheuer und Witsch 2020.

Don DeLillo legt eine knappe Erzählung vor, welche vieles an zeitgemäßen Themen auf etwas mehr als 100 Seiten integriert. Sprachlich kunstvoll reduziert er das Erzählte auf das Wesentliche. Fünf Figuren begleiten wir dabei, wie sie mit einer technischen Katastrophe umgehen müssen. Alle technischen Geräte fallen aus und lassen einen technischen Stillstand hervortreten. Auf beeindruckende Art und Weise gelingt es dem Autor so, die Illusion von Kontrolle durch Technik zu zerbrechen. Die titelgebende Stille ist dabei sowohl bezeichnend für die Bedrohung durch die technische Stille, als auch für die akzeptierte Stille durch falsche Kommunikation. Ein passendes Kunstwerk für unsere Zeit.

Um was geht es?

Am Abend des Super Bowl Endspiels haben eine Physikprofessorin, ihren Mann und einen früheren Studenten zusammengebracht. Das Gespräch während des Wartens auf den Kick-Off ist vor allem durch Einwürfe des Studenten geprägt. Der Ehemann schweigt, während die Professorin versucht, ihre Gedankenwelt zu ordnen. Gleichzeitig erleben wir ein anderes Pärchen, welches von Paris mit dem Flugzeug auf der Heimreise ist. Geplant ist, dass dieses Pärchen Gäste während des Superbowls bei der Physikprofessorin werden. Plötzlich geschieht etwas Seltsames und die gesamte technische Infrastruktur bricht zusammen. Die fünf Personen versuchen nun zu ergründen was passiert ist und werden doch nur mit Fragezeichen versehen auf sich selbst zurückgeworfen.

Mein Eindruck vom Buch

Auf einmal merkte Diane, dass Martin sprach, wenn auch nicht unbedingt mit ihr.

DeLillo, Don: Die Stille, S.51 Kiepenheuer und Witsch 2020.

Dieses Zitat ist beispielhaft für die Sprachlosigkeit und missglückte Kommunikation, die zwischen den Figuren der Erzählung vorherrscht. Die titelgebende Stille bezieht sich vor allem deshalb nicht nur auf den Stillstand der technischen Infrastruktur, sondern auch auf die Kommunikation ohne Botschaften. Das Pärchen im Flugzeug kommuniziert belanglos miteinander, während sie stetig Informationen über das Wetter und ihre Flughöhe erhalten. Die Informationen lassen beim Flugzeugpärchen ein Gefühl von Sicherheit entstehen und symbolisiert den Glauben an Kontrolle durch technische Möglichkeiten. Die Kommunikation im Flugzeug dient nur der Vermittlung von Sicherheit und nicht der Stärkung zwischenmenschlicher Beziehungen.

Für mich liegt genau darin das Großartige dieser knappen Erzählung. Don DeLillo entführt uns an ein Super Bowl Wochenende, einem Highlight amerikanischer Unterhaltungsindustrie. Gefeiert als Fest der sozialen Zusammenkünfte wird es in dieser Erzählung zum Offenbarungseid. Die Menschen sind physisch beieinander aber psychisch einander fern. Die Schilderungen sind auf das Wesentliche reduziert und markieren auch auf diesem Wege die fehlerhafte Kommunikation. Dies steht im Gegensatz zu den uns heute verfügbaren technischen Kommunikationsmöglichkeiten. Eine Fülle an Kommunikationswegen hat nicht dazu geführt, dass wir eine verbesserte Kommunikation erleben. Durch die technische Katastrophe werden die Personen auf sich selbst zurückgeworfen. Dies führt zunächst zur Erkenntnis, dass man keine Kontrolle mehr hat und mit offenen Fragen zurückbleibt.

Was, wenn wir gar nicht sind, was wir glauben zu sein?“

DeLillo, Don: Die Stille, S.83 Kiepenheuer und Witsch 2020.

Die fehlenden Erklärungen lassen gebildete Menschen auch über Verschwörungstheorien nachdenken. Das Zitat entlarvt eine Welt, die erschrocken darüber ist, dass es sich bei der totalen Kontrolle nur um eine Illusion handelt. DeLillo hat die Erzählung vor der Corona-Krise fertiggestellt und doch könnte die Botschaft nicht zeitgemäßer sein. Um die Aktualität zu zeigen wird Corona an einer Stelle erwähnt, aber nicht in den Fokus gerückt. Auf etwas mehr als 100 Seiten zeigt sich, dass wir in einer Welt der technischen Abhängigkeiten leben. Der Glaube an totale Kontrolle wird entzaubert und dies kunstvoll komprimiert. Als Leser einiger Romane von Don DeLillo würde ich es nicht als sein bestes Buch bezeichnen, aber trotzdem als ein starkes Werk amerikanischer Gegenwartsliteratur.

Unbezahlte Werbung aus Liebe zum Buch

Don DeLillo:

Die Stille

Kiepenheuer und Witsch

ISBN: 978-3-462-00128-0

Preis: 20,00€

https://www.kiwi-verlag.de/buch/don-delillo-die-stille-9783462001280

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert