Die DDR aus dem Blickwinkel der Jugend – Gneuß, Charlotte: Gittersee

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Nun möchte ich mein Leseprojekt zur Longlist des Deutschen Buchpreises fortsetzen. Für mich waren in diesem Jahr Familiengeschichten und darin verankerte Traumata ein Leitmotiv für die aktuelle Deutsche Gegenwartsliteratur. Viele Autor:Innen beschäftigen sich auch mit den Einflüssen der Vergangenheit und weckten damit mein Interesse. Ein Roman von der Longlist wurde sehr ausgiebig besprochen, da er mit seinem historischen Bezug Diskussionen auslöste. Charlotte Gneuß erzählt in ihrem Debüt „Gittersee“, erschienen bei S. Fischer, von einer Jugend in der DDR. Es ist nicht die erlebte Welt der 1992 in Ludwigsburg geborenen Autorin. Es gab kritische Stimmen, die angebliche Mängel in der geschilderten DDR-Vergangenheit ausmachten. Schon war sie da, die Diskussion darüber, wer darf wie worüber erzählen. Ich bin ehrlich für mich eine nervende Debatte, da sie an der Kraft von Literatur vorbeizieht. Es geht für mich bei guten Texten auch um Blickwechsel und die Kraft fiktionaler Veränderungen. Ausführlicher möchte ich die Debatte auch nicht kommentieren, sondern nun den Roman vorstellen, für den Gneuß den Aspekte-Literaturpreis erhalten hat.

„Es kann ja alles vorbeisein, schrieb ich, und am Ende bereut man, dass man nicht miteinander geredet hat, weil man zu schwach war, weil man zu stolz war, weil man glaubte, zu gut zu sein oder bessere Dinge zu tun zu haben, aber was sind bessere Dinge.“

Gneuß, Charlotte: Gittersee, 2023, S. Fischer Verlag, S.139.

Der Roman erzählt die Geschichte von Karin, die mit ihren Eltern 1976 in der DDR, genauer in Dresden-Gittersee, lebt. Karin ist 16 und nicht begeistert von dem Umfeld, in dem sie lebt. Allerdings zeigt der Roman hier zwei Krisenelemente auf. Zum einen beleuchtet er natürlich das Staatssystem, kreuzt dies aber mit den Problemen eines Teenagers. Karin hat strenge Eltern. Der Vater wirkt meist überfordert, auch mit jedweder Veränderung, während die Mutter beginnt sich von der Familie abzukapseln. Deshalb ist die heimische Unterstützung von Karin so wichtig. Diese möchte jedoch vor allem das Leben einer Heranwachsenden ausleben. Gneuß gelingt es, uns sofort in die Erfahrungswelt der 16-jährigen Erzählerin hineinzuziehen. Ihre Erzählstimme beinhaltet jugendliche Naivität. In den sprachlichen Metaphern ist die jugendliche Imaginationskraft zu spüren. Dies lässt die Erlebnisse von Karin noch näher an die Leserschaft heranrücken, jugendliche Gruppendynamiken auf Partys werden greifbar, rufen vielleicht sogar eigene Erinnerungen hervor. Spannend an der Romangestaltung finde ich zudem, dass Gneuß für ihr Debüt nicht den Weg der Autofiktion gewählt hat.

Ihre erste Liebe zu Paul ist von Leichtigkeit geprägt, doch als er mit ihr einen kleinen Ausflug nach Tschechien machen möchte, lehnt Karin ab. Zu groß ist der familiäre Druck und auch das in ihr verankerte Verantwortungsgefühl lässt sie auf das Angebot nicht eingehen. Es ist eine tragische Entscheidung, denn der geliebte Junge kehrt nicht mehr zurück. Er hat „rüber gemacht“, wie es im Nachgang heißen wird. Nun ist die politische Realität in das Leben von Karin eingedrungen. Gneuß schafft es zu zeigen, wie eine Jugendliche mit dieser Entwicklung umgeht, ohne alle Facetten der Entscheidung ihres Altersgenossen zu erfassen. Indessen erleben wir die Realität der DDR mit ihren eingeschränkten Entscheidungsmöglichkeiten am Leben von Karin. Sie beginnt durchaus zu realisieren, warum ihre Liebe geflüchtet ist und kommt zugleich in Kontakt mit einem Stasi-Offizier. Dieser dringt behutsam in ihre Geheimnisse ein. Er entlockt sie ihr, da er ihr das Gefühl gibt, an etwas Großem teilzuhaben. Karin von Naivität in diese Situation gebracht, beginnt einen Stolz zu entwickeln, für die Stasi tätig zu sein. Dieses langsame Hineingleiten in die Stasi-Tätigkeit ist wunderbar geschildert und zeigt auf, wie man in einem solchen System zum Handelnden wird. Dabei vermeidet der Roman moralische Urteile, sondern konzentriert sich auf die Darstellung eines DDR-Alltags einer 16-Jährigen. 

„Seit Paul fortgegangen war, war jeder Tag ein Tag ohne ihn. Und jeder Tag änderte die Erinnerung. Ich wünschte, ich hätte wenigstens ein Foto von ihm, doch ich hatte nur diese Skizzen, die Bahngleise, die Ferse, das Gartenhaus und Steinfunde von der Ostsee. Wenn er jetzt unten stehen und pfeifen würde, was würde ich tun.“

Gneuß, Charlotte: Gittersee, 2023, S. Fischer Verlag, S.132.

Fazit

Gneuß wird aus meiner Sicht zu Recht für ihren Roman gelobt, da sie den Tonfall einer vergangenen Jugend findet und behutsam mit Sprache arbeitet. Kein Wort wirkt zu viel. Mir ist der Handlungsbogen an einigen Stellen sogar zu fokussiert. Insgesamt ist dies jedoch ein toller Roman, dessen Blick auf die DDR bereichernd ist, unabhängig kleinerer historischer Mängel, die nicht entscheidend für den positiven Gesamteindruck sind. Gneuß hat zudem erklärt, dass sie sich bewusst nicht an der Historizität der Sprache orientiert hat, sondern eben ihre literarischen Mittel ausgeschöpft hat.

Werbung aus Liebe zum Buch

Wertung: 🐧🐧🐧1/2🐧

Charlotte Gneuß: Gittersee

ISBN: 978-3-10-397088-3

https://www.fischerverlage.de/buch/charlotte-gneuss-gittersee-9783103970883

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