Elmiger, Dorothee: Aus der Zuckerfabrik – Rezension

Wie widerwillig ich das in den Text hineinschreibe, die Beschreibung der Tänzerinnen: Weil doch mit der Sprache eigentlich eine Zukunft vorgestellt und versucht werden will, in der diese Art zu schauen und die dazugehörigen Worte längst ganz irrelevant sind, und wenn es so weit ist, in dieser Zukunft, wird auch dieser Text eben ganz gestrig sein.

Elmiger, Dorothee: Aus der Zuckerfabrik, S. 180 Hanser 2020.

Wie gegenwärtig ist ein Text, mit dieser Frage beschäftigt sich das Buch „Aus der Zuckerfabrik“ und wählt hierfür einen besonderen ästhetischen Ansatz. Eher einem Notizbuch gleich, versammelt der Text Eindrücke, Situationen und Lesereflektionen. Als verbindendes Element fungiert der Zucker, der sich als Produkt oder Symbolbild immer wieder in die Schilderungen einschreibt. Grundsätzlich wird sich aber einem kausalem Zusammenhang verweigert, da er es nur für schwer möglich hält, diese Zusammenhänge in unserer komplexen globalen Welt herzustellen. Das Buch ist ein Kunststück, das mich herausgefordert, Leseemotionen hervorruft, mich aber auch aufforderte, sich auf das Gelesene einzulassen. Es ist eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die Freude an solchen Texten und ihrer Machart haben.

Um was geht es?

Das Buch „Aus der Zuckerfabrik“ präsentiert keine kausale Handlung, sondern ist vielmehr eine Recherche und Sammlung von Beobachtungen. Die Welt wird in ihrer ganzen Komplexität sichtbar und zwar anhand des Lebensmittels Zucker, seiner Bedeutung als Gut, sowie als Symbolbild. Mit dieser Gestaltung nimmt uns der Text mit auf eine spannende und assoziative Reise.

Mein Eindruck vom Buch

Zunächst hat mich dieses Buch äußerst ratlos zurückgelassen. Ich habe es als Tipp empfohlen bekommen, für den Buchpreis war es ebenfalls nominiert. Doch nach dem ersten Lesen hatte ich den Reiz des Textes nicht erfasst. Erst ein Gespräch mit Stefan brachte mir Zugang zum Text und ich begann ihn erneut zu lesen und siehe da, schon war ich mittendrin. Dorothee Elmiger entführt uns in die Gedankenwelt ihrer Erzählstimme, die mit beeindruckender Assoziationsfähigkeit Szene um Szene aneinander reiht und miteinander kombiniert. Die Stimme macht deutlich, dass der Drang alles kausal zu erzählen, scheitern muss. Weder kann man den Verlauf der Zeit während des Schreibprozesses stoppen, noch ist die Komplexität unserer Lebenswelt von uns einzuholen. Gegliedert ist der Text in Ansätze, die in ihren Überschriften unter anderem auf Orte oder andere literarische Werke verweisen. Die Struktur der Passagen ähnelt stilistisch einem Tagebuch. Gerahmt von dieser Gestaltung wird sich mit Kunst oder Wissenschaft auseinandergesetzt und aufgezeigt, wie Dinge zusammenhängen oder eben auch nicht.

Da in England die jungen Frauen aus gutem Hause, schreibt Flora Tristan in den Promenades dans Landres, gezwungen sind, so öde langweilige Leben zu führen, wenden sie sich den Romanen zu, und sie beginnen unter dem Einfluss dieser Bücher zu fantasieren: „ [S]ie träumen nur noch von Entführungen“, genauer gesagt so Tristan, von einer Entführung, die „in einer prachtvollen, vierspännigen Kutsche stattfindet“. Meist warten sie vergeblich und heiraten dann, spät einen einfachen Angestellten.

Elmiger, Dorothee: Aus der Zuckerfabrik, S. 159 Hanser 2020.

An dieser Textstelle zeigt sich, wie es Elmiger auch gelingt Humor in den Text einfließen zu lassen. Der hier auftretende Tonfall zieht sich durchs Buch und wirkt nie unpassend. Wir erfahren Gedanken über die Arbeiter auf den Zuckerrohrplantagen, wie Psychoanalyse verarbeitet wird, blicken ins Arbeitszimmer des Ökonomen Adam Smith oder erhalten Einblick in das Leben eines Lottospielers. Die Aufzählung wirkt zunächst so, als könne man dies nicht zusammenbringen, doch dies gelingt der Schweizer Autorin gekonnt. Einige Textstellen weisen zudem einen dezidiert weiblichen Blick auf, ohne sich in irgendwelche Klischees einzureihen.

Alles in allem entsteht bei meinem zweiten Lesen ein Genuss, der auch aufzeigt, warum Teile des Feuilletons so begeistert waren. Es stellt sich Freude über die teils absurd wirkenden Gedankensprünge ein. Ein Text, den man immer wieder lesen kann und der aus bekannten literarischen Mustern ausbricht.

Werbung aus Liebe zum Buch

Dorothee Elmiger:

Aus der Zuckerfabrik

Hanser Verlag

ISBN: 978-3-446-26750-3

Preis: 23,00€

Aus der Zuckerfabrik – Bücher – Hanser Literaturverlage (hanser-literaturverlage.de)

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