Ernüchternde Beobachtungen – Röggla, Kathrin: Laufendes Verfahren

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Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, mit „Laufendes Verfahren“ von Kathrin Röggla, erschienen bei S.Fischer ein Roman, der sich mit einem der wichtigsten Ereignisse der jüngeren Deutschen Geschichte beschäftigt. Die NSU-Morde haben die Deutsche Gesellschaft in jüngster Vergangenheit erschüttert und sind Ausdruck einer bestehenden Gefahr durch Rechtsextremismus. Für mich ist dieser Skandal mit dem Mord an Walter Lübcke ein prägendes Erlebnis. Gepaart mit einer erstarkten Alternative für Deutschland (AfD) und dem Hass, den man an vielen Stellen im Netz liest, ergibt sich für mich ein Bild, dass die Demokratie durchaus gefährdet. Umso wichtiger ist es immer wieder darauf zu pochen, in der Vorstellung unserer Gesellschaft sich gegen rechte Ideologien zu wehren und aufzustehen. Der Prozess zu den NSU-Morden wurde in den Medien intensiv beleuchtet und doch konnte er nicht alle Fragen klären, Versagen in den Behörden wurde sichtbar, systemimmanente Zweifel an den Methoden im Kampf gegen Rechts konnten nicht ausgeräumt werden.

Kathrin Röggla widmet sich in ihrem Buch dem Prozess. Für die Darstellung wählt sie eine besondere Perspektive. Als Erzählstimme fungieren Prozesszuschauer:Innen als mehrstimmiger Chor. Das „Wir“ fungiert als Repräsentation für das am Prozess interessierte Bürgertum. Natürlich fiktionalisiert Röggla diese Beobachter: Innen und gibt ihnen Namen wie „Gerichtsopa“ oder „Omagegenrechts“ und weist ihnen damit klare Kommentarfunktionen zu. Die sprachliche Gestaltung beinhaltet zudem einen weiteren Kniff, da Röggla das Futur II für ihre Darstellung wählt. Dies drückt für mich aus, wie wenig die Suche nach Fehlern die schlimmen Ereignisse rückgängig machen kann. Zugleich benennt diese sprachliche Gestaltung, dass ein Aufklärungswille nur eingeschränkt vorhanden scheint und somit bestimmte Abläufe des Prozesses vorhersehbar waren. Aus meiner Sicht sind diese beiden gestalterischen Elemente des Buches die großen Stärken des Romans.

„Etwas von da unten hat sich hier raufverlagert, sind wir sicher. Das bleibt auch sonst nicht aus, aber das Täterwissen unter uns sitzt, weitergereicht als lustige Anekdote, kann man sich noch nicht vorstellen. Wissen die hier oben einiges, was da unten noch nicht gewusst wird.“

Röggla, Kathrin: Laufendes Verfahren, 2023, S. Fischer Verlag, S.151.

Weiterhin löst Röggla das sprechende Wir gegen Ende in Einzelstimmen auf und markiert dabei die Herausforderungen gesellschaftlicher Bewertung der Geschehnisse. Es ist nicht möglich, eine einhellige Meinung darzustellen, in der alle Interessen ausreichend berücksichtigt sind. Ihr Versuch dies vorab in der Wir-Perspektive zeigt aber, dass durchaus Gemeinsamkeiten gefunden werden können und müssen. Röggla kann mit ihrem Verfahren eine gewisse Neutralität erzeugen und zudem spielend zwischen Betroffenheit und nüchternem Informationsstil wechseln. Der Roman erzeugt Sätze, die man sicherlich über den gesamten Prozessablauf als zutreffend einstufen kann.

Röggla war selbst aufmerksame Beobachterin des Prozesses und hat sich bewusst gegen einen Reportageroman entschieden.

Man kann die ästhetische Gestaltung als einen Verweis auf eine gesellschaftliche Resignation lesen, hervorgerufen durch die geschilderte eingeschränkte Aufklärungsansicht. Wer von Röggla einen Schlüsselroman erwartet, der allen Perspektiven genügend Raum einräumt, wird enttäuscht sein. Doch für mich hat der Roman gerade deshalb seine Berechtigung, denn Röggla zeigt auf, wie wenig Empörung sich über die Geschehnisse bis heute in unserer Gesellschaft finden lässt. Die Interpretation ihrer Gestaltung erzeugt politisches Gewicht und so ruft der Text, ohne es zu sagen: „Stoppt die Resignation und steht auf!“

„Wir werden ihre Bewegungen studieren. Wir werden uns darauf konzentrieren, wann sie lacht und wann nicht, wann sie den Kopf hebt und senkt, wann sie sich abwendet. Wir werden keinen Moment auslassen.“

Röggla, Kathrin: Laufendes Verfahren, 2023, S. Fischer Verlag, S.101.

Fazit

Mit dieser für mich aus dem Roman abgeleiteten Schlussfolgerung ist es ein wichtiges Buch, das aber zugleich unter der Gestaltung leidet. Die sprachliche Ebene lässt kein entspanntes Lesen zu, zu selten liest man das Futur II, weshalb die Lektüre durchaus anstrengend war. Trotzdem ist es ein wichtiges Buch, und ich empfehle es allen, die sich auf die Konstruktion einlassen und sich mit dem Thema aus einer gänzlich anderen Perspektive auseinandersetzen möchten.

Werbung aus Liebe zum Buch

Wertung: 🐧🐧🐧1/2🐧

Kathrin Röggla: Laufendes Verfahren

ISBN: 978-3-10-397155-2

https://www.fischerverlage.de/buch/kathrin-roeggla-laufendes-verfahren-9783103971552

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