Hermann, Judith: Daheim – Rezension

Melancholisch die Facetten des Lebens betrachten

Von Judith Hermann habe ich bisher nur zwei Geschichten aus ihrem bekannten Erzählungsband „Sommerhaus später“ gelesen, da mich die Themen ihrer Bücher nie besonders angesprochen haben. Mit ihrem neuen Roman „Daheim“ war sie für den diesjährigen Leipziger Buchpreis nominiert und auch aufgrund der vielen positiven Besprechungen hat dieses Buch den Weg zu mir gefunden. In diesem Werk erzählt Hermann in melancholischen Tönen von einer Frau, die im Norden versucht einen Neuanfang zu starten. Es geht um Erinnerungen und den Mut sich auf neue Dinge einzulassen und dies in einer Welt, die zu bruchstückhaft erscheint, um ein neues Heimatgefühl zu erzeugen. Meine erste längere Erfahrung mit Hermann hat mich zunächst aufgefordert, sich auf den Schreibstil einzulassen und sprachlich bietet das Buch durchaus besondere Highlights. Etwas unklarer blieb für mich die Frage, was ich mit dem Plot anfangen soll und so habe ich mir für diese Rezension auch ein Gespräch mit der Autorin im Deutschlandfunk angehört.

Mein Eindruck vom Buch:

Das Lob in den deutschen Feuilletons war groß und stellte immer auch die sprachliche Qualität heraus, aber auch, dass Hermann nun den passenden Stoff für ihren melancholischen Tonfall gefunden habe. Die Szenerie des Buches zeigt uns eine Frau, Mitte/Ende 40, die an der norddeutschen Küste einen Neuanfang wagt. Nach dem Auszug der Tochter trennt sie sich von ihrem Mann und fängt im Norden in der Gaststätte ihre Bruders als Kellnerin an. Die Figuren des Romans sind allesamt eigen, bleiben auch beim Lesen unnahbar. Es ist ihr Auftreten und Handeln, dass für sie spricht. Die Handlung verschränkt aus meiner Sicht verschiedene Aspekte. Zum einen die Erinnerungen an ein Leben, dass einer klassischen Familiensituation entspricht und die Erinnerungen an das Leben vor der Ehe und den Möglichkeiten sich zu entfalten. Zum anderen die neue Situation an der norddeutschen Küste und die Tochter, die sich meist nur über die Angabe von GPS Daten meldet und somit auch ein Freiheitsgefühl symbolisiert. Diese Aspekte werden ohne Wertungen nebeneinander gestellt und sind damit auch das Abbild eines Lebens und all seinen Facetten. Unterstützt wird jene Wirkung auch durch die Lücken in den Figurenbeziehungen, nicht alles wird auserzählt, sondern man muss sich als Leser*In mit diesen Lücken auseinandersetzen.

Begeisterung durch Sprache und Motive

Mich hat diese Auseinandersetzung nicht packen können, die Figuren blieben mir zu mysteriös, sodass ich mich nicht mit ihnen auseinandersetzen wollte. Sei es die Erzählerin, der Bauer Arild mit dem sie eine Affäre hat oder Nike, die Freundin des Bruders, alles bleibt vage. Da dies aus meiner Sicht Grundintention des Buches ist, kann und will ich dies der Machart des Romans nicht vorwerfen. Es ist sicherlich Geschmackssache, wenn ich mit dieser Art der Darstellung kein Lesevergnügen verbinde. Begeistert hat mich der Roman somit weniger mit seinem Plot und seinen Figuren sondern mit der sprachlichen Gestaltung und immer wiederkehrenden Motiven. Zu nennen wäre hier zunächst das Motiv der Kiste. Zunächst als Zauberkiste auftauchend, da sie als junge Frau von einem Zauberer als Assistenz angefragt wird, dann nochmals als Maderfalle und als Kindheitstrauma von Nike. In diesem Motiv zeigt sich für mich die oftmalige Beschränktheit des eigenen Lebens. In der Überlegung diese Stelle beim Zauberer anzunehmen zeigt sich auch die Wahl sein Leben zu führen. Entspricht sie dem Wunsch des Zauberers erhält sie die Möglichkeit die Welt zu bereisen, gleichzeitig assistiert sie beim Trick mit dem Zersägen einer Kiste und das Legen in diese Kiste ist zugleich wieder einschränkend. Das Abwägen zwischen Möglichkeiten durchziehen das Buch. Immer wieder erinnert sie sich an das vorherige Leben, in dem die klassischen Familienrollen eingenommen wurden. An der Küste sind es Arild und seine Schwester, welche die Erzählerin auffordern sich auf Neues einzulassen. Nie wird sprachlich der Erinnerung oder dem Jetzt der Vorteil zugesprochen.

Dieser Roman zeigt uns eigene Figuren auf dem Land, die trotz ihrer Eigenheiten zueinander finden und eine Gemeinschaft entstehen lassen. Jene funktioniert ganz anders als die der Erzählerin bekannte Familie. Die Stärke des Buches sind die sprachlichen Bilder, die in der zu schildernden einfachen Szenerie sprachliche Schönheit herausstellen.

Dann beuge ich mich vor, atme ein und mache die Falle auf.

Hermann, Judith: Daheim, S.189 S.Fischer Verlag 3. Auflage 2021.

So ähnlich wie dieses Zitat funktioniert der Roman, man muss sich auf ihn und seine Stimmung einlassen, die Lücken akzeptieren, die mysteriösen Figuren begreifen und so in die norddeutsche Landschaft eintauchen. Lässt man sich auf die Stilistik der Autorin ein, wird man sich an diesem Buch begeistern können. Ich kann nachvollziehen, warum dieser Roman gelobt wird, da er seine Themen mit sprachlicher Ästhetik verbindet und Hermann einen passenden melancholischen Tonfall anbietet.

Mein Fazit ist keine überschwängliche Leseempfehlung, denn auch bei mir haben nicht alle Aspekte des Romans Interesse geweckt. Herauszustellen ist die präzise Sprache, die wirklich ohne Wertungen auskommt. Die Szenen lassen Bilder im Kopf entstehen, die aber leider oftmals in Leerstellen laufen. Ich halte Hermann für eine tolle Autorin und so empfehle ich dieses Buch allen Leseratten, die sich an melancholischer Sprache und einem mysteriös daherkommenden Umfeld erfreuen und gehaltvolle Gegenwartsliteratur schätzen. Bei mir verbleibt ein durchwachsener Eindruck, der aber vielleicht auch ein Zweites Lesen notwendig macht.

Wertung: 🐧🐧🐧1/2🐧

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Judith Hermann:

Daheim

S. Fischer Verlag

ISBN: 978-3-10-397035-7

Preis: 21,00€

Daheim – Judith Hermann | S. Fischer Verlage

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