Bukowski, Helene: Milchzähne – Rezension

„Milchzähne“ überzeugt mit einer poetischen Schlichtheit, die eingerahmt von einem dystopischen Setting Fragen der Identität verhandelt. Man folgt der Handlung wie ein Detektiv, sammelt Eindrücke, gewinnt Erkenntnisse und verliert sich im Nachdenken über diese.

Es scheint nicht lange her zu sein und doch wirkt es wie eine Ewigkeit. Im Januar war ich Gast im Literaturhaus Frankfurt, wo am 20. Januar zur Qualitätskontrolle geladen war. Eine Veranstaltungsreihe bei der sich das Literaturhaus dem Zustand der Deutschen Gegenwartsliteratur widmet. An diesem Abend waren die Autorinnen Helene Bukowski, Berit Glanz und Cemile Sahin mit ihren 2019 erschienenen Debütromanen eingeladen. Kurz zusammengefasst erlebte ich einen kurzweiligen Abend, mit drei tollen Lesetipps.

Einer dieser Romane war „Milchzähne“ von Helene Bukowski. Schon vor der Veranstaltung hatte es dieses Buch auf meinen Lesestapel geschafft. Angesprochen durch das auffallende Cover und der Ankündigung in der Verlagsvorschau wollte ich dieses Debüt unbedingt lesen.

Um was geht es?

Skalde lebt mit ihrer Mutter Edith in einer dystopisch anmutenden Welt, die fernab des heutigen uns bekannten Alltags zu liegen scheint. Die Beiden leben unabhängig von der Dorfgemeinschaft. Die Geschichte konzentriert sich auf ihre Protagonistinnen. Die Dorfgesellschaft ist damit beschäftigt einen geschlossenen Dorfraum zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund wächst Skalde heran und versucht dabei stetig das Verhältnis zu ihrer Mutter und die eigene Vergangenheit zu klären. Dabei wird Fragen der Identität und dem Grundrauschen abwesender Normalität nachgegangen. In diese Welt bricht mit einem Kind etwas Fremdes ein und lässt die Identitätsfrage und jene nach Gruppenzugehörigkeit nochmals auf eine andere Ebene treten.

Meine Einschätzung zum Buch

Beim Lesen des Romans und dem Hinweis auf eine nicht mehr existente Brücke musste ich an das im Bild genannte Zitat von Richard von Weizsäcker denken. Helene Bukowski präsentiert eine Dorfgesellschaft, die ihre Grenzen in einer naturbelassenen Welt zu festigen versucht. Damit ist es kein gewöhnlicher Roman über das Heranwachsen eines Mädchens, sondern es geht stetig auch darum, dass man sich in dieser dystopischen Welt seiner eigenen Existenz versichern muss. In schlichter, aber doch äußerst poetischer Sprache wird diese Welt aus der Sicht von Skalde geschildert. Sie möchte der eigenen Geschichte nachspüren und als Leser folgt man ihr wie ein Detektiv bei der Arbeit. Immer mehr erfährt sie über die geheimnisvolle Dorfgesellschaft und ihre eigene Herkunft.

Die Eindimensionalität des erzählenden Blickes gleicht den eindimensionalen archaischen Regeln der Dorfgemeinschaft, die stark darauf bedacht ist, sich von äußeren Einflüssen abzugrenzen.

Wie eine Wiedergängerin der Protagonistin Skalde wirkt ein Mädchen, welches sie findet und aufnimmt. Sofort zeigt sich die Fragilität der Dorfgemeinschaft. Skalde beginnt nun neben den Leerstellen der eigenen Identität, auch jene aufzudecken, welche die Dorfgesellschaft infrage stellen.

Im Gespräch im Literaturhaus erklärt Bukowski den Roman in absoluter Abgeschiedenheit geschrieben zu haben. Unterkunft fand sie dafür in der Kempowski Stiftung im Haus Kreienhoop. Fragen bezüglich einer Verbindung des Roman zum Thema Klimawandel werden im Gespräch diskutiert. Die Leerstellen im Roman verweigern sich jedoch einer gezielten Themenzuordnung und betonen damit wieder die schwer festzulegende Identität von Figuren und Roman als solchem.

Für mich streift der Roman die Vergänglichkeit der Natur durch den menschlichen Einfluss, stellt aber die Identitätsfragen in den Vordergrund. Stabile Identitätsbildung in unserer pluralen Welt ist ein aktuelles Problem und der Roman greift auch die Schwierigkeit von Gruppenidentitäten mit der Dorfgemeinschaft auf. Der Roman fordert mich als Leser auf über diese Dinge nachzudenken, ohne dass mir eine belehrende Aussage an die Hand gegeben wird. Bukowski hat eine Geschichte vorgelegt, die Leser*Innen Deutscher Gegenwartsliteratur begeistern kann.

Helene Bukowski:

Milchzähne

Blumenbar Verlag

ISBN: 978-3-351-05068-9

Preis: 20,00€

https://www.aufbau-verlag.de/index.php/milchzahne.html

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert