Vuong, Ocean: Auf Erden sind wir kurz grandios – Rezension

„Auf Erden sind wir kurz grandios“ ist ein Highlight dieser Buchsaison. Ocean Vuongs Roman packt die Ambivalenzen eines Migrantenlebens in einen Briefroman an die Mutter der Hauptfigur. Jede Seite des Romans sprüht vor sprachlicher Klasse und schafft wunderbare Leseerlebnisse. Kurz gesagt: Unbedingt lesen!

Artikelserie „Erregungswelle“

Zorn, Wut, teils auch Beleidigungen sind heutzutage zu beobachtende Auswirkungen in gesellschaftlichen Debatten. Getrieben von Ungerechtigkeit oder Zurückweisungen eröffnet sich eine Empörungsspirale, welche die Debatte zu Problemen jedoch eher behindert, statt diese zu fördern. Zudem greifen rechts-gerichtete politische Parteien diese Grundstimmung gerne auf und beginnen Fakten gegen Meinungsmache auszuspielen. Die gefühlte gesellschaftliche „Erregungswelle“ spielt auch in Büchern eine wichtige Rolle. Die Themen Migration und gesellschaftliche Spaltung sind hochaktuell. Ocean Vuongs Debütroman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ wurde mit vielen Vorschusslorbeeren auf dem Deutschen Buchmarkt angekündigt. Der Roman wird als passend zum genannten Feld bezeichnet und ragt auch aufgrund seiner Gestaltung aus den Verlagsprogrammen heraus. Dies kann ich nach der Lektüre nur bestätigen und sage klipp und klar: Wer sich für gute Gegenwartsliteratur interessiert kommt an diesem Roman nicht vorbei und dies gilt auch für meine Artikelserie „Gesellschaftliche Erregung“.

Um was geht es?

Die Erzählstimme berichtet aus dem Leben als geborener Vietnamese, der in den Vereinigten Staaten aufwächst. Dies geschieht in Form eines Briefes an die eigene Mutter. Diese ist allerdings Analphabetin und wird dies somit nie lesen. Schon darin drückt sich die Ambivalenz des Migrantenlebens aus. Der dargelegte Lebenslauf berichtet vom schwierigen Familienleben, dem Kampf um Anerkennung und den Lieben des Lebens.  Hierbei ist ein Kommen und Gehen von Gewalt zu beobachten, die oftmals einziger Ausweg scheint, aber auch im Dienste der Liebe geschieht.

Mein Eindruck der Reihe

Zu Recht hat dieser Roman eine große mediale Aufmerksamkeit erreicht. Die Sprache des Romans entwickelt einen unglaublichen Sog, immer wieder wiederholt man das Gelesene und muss sich der sprachlichen Wucht beugen. Die Idee des Briefes mag verwirren, nachdem man erfährt das die Mutter Analphabetin ist, mit Blick auf den gesamten Roman ist diese Form jedoch die richtige Symbolik für die Kommunikationsprobleme der Familie. Wie kann sich Familie annähern, wenn sie nicht in der gleichen Sprache kommuniziert? Wie findet man seine eigene Identität, wenn man kein klares Verhältnis zur eigenen Mutter hat? Dies sind nur zwei Fragen, welche den Hintergrund des Romans bilden. Gattungsregeln will sich Ocean Vuong mit seinem Werk nicht unterwerfen, das Springen durch die Erlebnisse ist die passende Form. Mit dem Briefroman kommentiert Vuong auch den Mythos des Amerikanischen Traums und entlarvt diesen. Die familiäre Gewalt wird vom Erzähler nicht nur kritisiert, sondern auch als schwer zu greifende Fürsorge. Selten habe ich physische Gewalt sprachlich auf diesem Niveau ausgedrückt gesehen. Dem Roman gelingt es eine Lebensgeschichte zu erzählen, ohne dabei jemals den Moment des Briefeschreibens zu verlassen. Als Leser*In erkennt man, dass der Erzähler mit dem Brief auch versucht, sich von seiner Vergangenheit zu befreien. Dabei werden familiäre Bindungen, als auch außerfamiliäre Kontakte geschildert, in denen aber auch immer wieder Gewalt Eingang findet.

Abschließend kann ich nur festhalten, dass der Roman inhaltlich schwer zu greifen ist, aber mit seiner sprachlichen Brillanz begeistert. Auch das Geschilderte findet auf diese Weise Eingang, selten habe ich einen Roman sprachlich so wie diesen bewundert.

Coverabdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Ocean Vuong:

Auf Erden sind wir kurz grandios

Hanser Verlag

ISBN: 978-3-446-26389-5

Preis: 22,00€

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/auf-erden-sind-wir-kurz-grandios/978-3-446-26389-5/

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