Hall, Sarah: Die Töchter des Nordens – Rezension

In der Hoffnung auf ein anderes Leben …

In der Verlagsvorschau des Penguin Verlages bin ich auf meinen heutigen Buchtipp aufmerksam geworden. Ein Roman, der an Margaret Atwood erinnert und von der Times als einer der 100 besten Bücher des Jahrzehnts im Erscheinungsjahr 2007 bezeichnet wurde. Die britische Schriftstellerin Sarah Hall verbindet in ihrem Werk feministische Themen mit Naturbeschreibungen. Nach einer Umweltkatastrophe und einer damit verbundenen Wirtschaftskrise hat Großbritannien kein demokratisches politisches System mehr. Diktatorisch wird versucht den Herausforderungen zu begegnen. Eine Maßnahme ist, dass Frauen nur noch in Ausnahmefällen Kinder kriegen sollen. Dieser Gesellschaft und ihren Doktrinen entflieht eine junge Frau und macht sich auf den Weg zu einer Farm, die als Aussteigersiedlung von Frauen betrieben wird. Auf dieser Farm geht es darum, sich gegenüber der Außenwelt zu behaupten, sich aber auch im dortigen Machtgefüge zu beweisen.

Mein Eindruck vom Buch:

Durch die Ankündigung in der Verlagsvorschau hat dieses Buch natürlich auch Erwartungen geweckt. Nach meiner Lektüre muss ich leider sagen, dass diese nicht erfüllt werden konnten. Der Roman entführt uns in eine dystopische Welt nach einer Umweltkatastrophe. Großbritannien hat keine demokratische Regierung mehr, die Reorganisation ist nicht gelungen. Die Protagonistin, nur Schwester genannt, muss in einer Fabrik für Turbinen arbeiten und zu Hause wartet eine Ehe, die nicht mehr von der anfänglichen Liebe getragen wird. Um die Geburten zu kontrollieren, bekommen Frauen Spiralen eingesetzt, jeglicher Kritik oder aufkommendem Widerstand wird mit Gewalt entgegen getreten. Die Protagonistin kann dies nicht mehr aushalten und flüchtet auf eine Farm. Dort hat sich eine Gruppe von Frauen niedergelassen und lebt abgeschieden vom mächtigen System.

Ich erkenne diese Regierung nicht als die rechtmäßige an.

Hall, Sarah: Die Töchter des Nordens, S.252 Penguin Verlag 1. Auflage 2021.

Der Roman wird in Passagen aus einer Strafakte erzählt, welche das Geständnis der Protagonistin darstellen. Die Akte wird als nicht vollständig dargestellt, wobei die Zuschreibungen wie „vollständig wiederhergestellt“ aus meiner Sicht auch immer zum jeweiligen körperlichen und seelischen Zustand der Hauptfigur passen könnten. Ihre Flucht ist mit der Hoffnung auf ein besseres und vor allem auch anderes Leben verbunden. Während ihr das System keine Entfaltung zu bieten scheint, hofft sie diese in der Frauengesellschaft zu bekommen. Die sprachliche Gestaltung des Textes setzt auf eine Metaphorik, die Gewalt, Krieg und Machtkämpfe transportiert. Die Flucht wird mit der nötigen Drastik dargestellt. Die Frauen haben sich auf der Farm jedoch ebenfalls in einem System organisiert, welches von Machtstrukturen gezeichnet ist. Die ersten Tage wird die Protagonistin auch dort Opfer von Gewalt und Folter. Nach den Regeln dient dies dazu, herauszufinden, ob sie eine Gefahr darstellt und dem harten Leben auf der Farm gewachsen ist. Für mich machen sich in dieser Darstellung leider keine richtigen Gegensätze zum System in den Städten deutlich. Natürlich versorgen sich die Frauen autark, das Leben ist stärker an den natürlichen Ressourcen orientiert, aber es wird nicht deutlich worin die Alternative besteht. Frauen haben auch in dieser organisierten Struktur kein gänzliches Recht auf Selbstbestimmung. Einige führen Liebesbeziehungen mit einer Männeraussteigerkommune, dürfen diese aber nicht mit auf die Farm bringen.

…basiert schlussendlich auch der Wunsch nach Konflikt

Die Machtspiele werden seitens Sarah Hall gut dargestellt, ergeben aus meiner Sicht aber auch nicht an allen Stellen Sinn. Leerstellen kann der Roman durch seine Erzählstruktur in unvollständigen Akten übergehen, trotzdem fehlte mir an der ein oder anderen Stelle der Hintergrund bestimmter Verhaltensweisen. Die Botschaft des Buches ist, dass in den Bemühungen um ein besseres oder anderes Leben, natürlich auch immer Konflikte bestehen. Auch in alternativen Gesellschaftsformen werden sich Machtstrukturen herausbilden. Auch die als Utopie herbeigesehnte Farm kann brutal und schroff sein. Zielgerichtet verläuft der Roman auf ein Ende zu, welches Entscheidungen herbeiführen soll.

Mein Fazit nach diesem Roman ist, dass so mancher Werbespruch auf einem Buchcover, dem Werk mehr aufbürdet, als das es ihm marketingtechnisch hilft. Die Protagonistin ist durchaus mit der nötigen Tiefe versehen und das Setting des Romans beeindruckt. Allerdings kann die erzählte Handlung damit nicht mithalten, zu viele Handlungsweisen bleiben für mich in ihrer Motivation unklar. Das Buch macht dystopisch deutlich, dass die Selbstbestimmung über den eigenen Körper eines der wichtigsten Grundrechte ist. Weiteres Potenzial über Gleichberechtigung und Freiheit nachzudenken, wird aus meiner Sicht verschenkt. Einem Vergleich mit Margaret Atwood kann der Roman aus meiner Sicht nicht standhalten. Wer solche Bücher jedoch mag, wird auch bei Sarah Hall sicherlich nicht enttäuscht werden.

Wertung: 🐧🐧🐧

Unbezahlte Werbung aus Liebe zum Buch

Sarah Hall:

Die Töchter des Nordens

Penguin Verlag

ISBN: 978-3-328-60101-2

Preis: 20,00€

Die Töchter des Nordens | Presseportal (penguinrandomhouse.de)

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