Nam-Joo, Cho: Kim Jiyoung, geboren 1982 – Rezension

Dokument eines Lebens in Unfreiheit

Bei meinem letzten großen Hugendubel Einkauf konnten sich meine ehemaligen Kolleg*Innen vollends austoben und haben mich vollbepackt aus dem Laden gehen lassen. Einer der Tipps war das Buch „Kim Jiyoung, geboren 1982“, dass ein Bestseller in Südkorea war und im Anschluss die Welt erobert hat. Nam-Joo Cho war als Drehbuchautorin tätig, ihr Roman hat sich mittlerweile über 2 Millionen Mal verkauft und wurde verfilmt. Sie schildert darin das Leben der Mitdreißigerin Kim Jiyoung. Sie ist verheiratet und kümmert sich um ihre kleine Tochter als eine Psychose auftritt. In dieser nimmt sie verschiedenste Persönlichkeiten an. Sie beginnt eine Therapie und ihr Psychiater erzählt uns daraufhin ihre Lebensgeschichte, dominiert von Sexismus und starren Rollenbildern.

Mein Eindruck vom Buch:

Auch dieses Buch hat natürlich Erwartungen geweckt, doch da ich schon die ein oder andere Rezension gelesen hatte, konnte ich diese schon einordnenNam-Joo Cho hat einen dokumentarischen Stil für ihren Roman gewählt. Die Erzählung des Lebens wird durch den Psychiater unterstützt, der bestimmte Einschätzungen mit Fakten und Quellenangaben untermauert. In ihrer Heimat hat das Buch die „MeToo“ Debatten beeinflusst. Dabei ist das was wir hier zu lesen bekommen nichts, was wir einzig und allein einer südkoreanischen Gesellschaft zuordnen können. Kim Jiyoung wächst in einer Familie auf, in welcher der Bruder immer bevorzugt wird. Die Ausbildungssituation für Frauen ist deutlich schlechter als für Männer. Sexistische Bemerkungen begleiten den weiblichen Alltag, die Kindererziehung ist klar der Frau zugeordnet. All diese Dinge sind uns auch in Europa bekannt. Immer wieder kommt Ermutigung auf, wenn sich einer der Lebensgefährten als Unterstützer zu erweisen scheint. Diese Hoffnungsschimmer halten jedoch nie lange genug an, um Kim beim Überwinden der nächsten Barriere zu unterstützen. Auch in Südkorea soll offiziell Gleichberechtigung herrschen, doch der reale Alltag spiegelt dies nicht wieder.

Ich werde also darauf achten müssen, eine unverheiratete Frau einzustellen.

Nam-Joo, Cho: Kim Jiyoung, geboren 1982, S.207 Kiepenheuer und Witsch Verlag 2. Auflage 2021.

Dieses Zitat des Psychotherapeuten macht aus meiner Sicht einen gewichtigen Punkt in der Betrachtung der behandelten Themen aus. Der Therapeut wirkt über weite Teile des Romans als verständnisvoll, trotzdem möchte er in seiner eigenen Praxis darauf achten, dass der Mutterschutz sich nicht nachteilig auf ihn auswirkt. Genau diese Art des Umgangs ist aber ebenfalls eine Wurzel für das von Kim Jiyoung gelebte Leben. Kim selbst realisiert die Ungerechtigkeiten nicht immer. Doch es fehlt nicht an Deutlichkeit, dies geschieht seitens der Autorin durch Nennung einer faktenbasierten Quelle. Durch diese Darstellung drückt sich das Ausmaß aus und Kim wird so zu einem Beispielfall in dem sich allgemeine Zustände ausdrücken.

Der Roman erzählt dieses Leben in Zeitabschnitten und stellt uns in diesem Zeitraum auch die Veränderungen Südkoreas hin zu einer kapitalistischen Gesellschaft vor.

Kein Weg für Einzelkämpfer*Innen

Der Roman zeigt auf, dass unsere Strukturen in der Arbeitswelt und der Familie Frauen immer noch strukturell benachteiligen. Männerphantasien werden im Roman deutlich, drücken sich aber nie explizit aus. Dies kann man dem Roman nachteilig auslegen, doch ich sehe gerade darin die Stärke. Es muss nicht immer erst das Äußerste geschehen, schon die Hintergründe sind entscheidend, um Benachteiligungen deutlich zu machen. In den Darstellungen der Arbeitswelt wird sichtbar, dass auch einzelne handelnde Personen es nicht schaffen werden, dieses Umfeld zu ändern. Es braucht größere Anstrengungen. Das den Roman durchziehende Gefühl der Unfreiheit ist gleichzeitig der kausale Grund für die psychischen Probleme der Hauptfigur. Dabei deutet die Darstellung des Psychotherapeuten nicht daraufhin, dass diese Therapie ihr schlussendlich helfen könnte.

Mein Fazit dieses Werkes ist, dass es viele dieser Romane braucht, die einem immer wieder den Spiegel vorhalten. Natürlich lernen wir aus dieser Lektüre nichts, was uns nicht schon bekannt sein sollte. Festzuhalten ist jedoch, dass sich noch nichts geändert hat. Der dokumentarische Stil und der Plot der Psychotherapie sind mir bisher unbekannte Umgangsweisen mit diesem Thema. Der Roman kombiniert sein Thema kunstvoll mit dieser Konstruktion und wird auf diesem Wege zu einem Dokument eines Lebens in gelebter Unfreiheit. Mir hat das Buch auf jeden Fall gefallen. Dem Buch gelingt es aufgrund seiner Stilistik aber nicht mich emotional zu packen, weshalb ich in meiner Gesamteinschätzung hinter höchsten Werten zurückbleibe. Trotzdem ist es ein wichtiges Buch zum Thema Gleichberechtigung und Benachteiligung von Frauen und findet zurecht eine große Leserschaft.

Wertung: 🐧🐧🐧1/2🐧

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Nam-Joo Cho:

Kim Jiyoung, geboren 1982

Kiepenheuer und Witsch

ISBN: 978-3-462-05328-9

Preis: 18,00€

Kim Jiyoung, geboren 1982 – Nam-Joo Cho | Kiepenheuer & Witsch (kiwi-verlag.de)

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