Weber, Anne: Annette. Ein Heldinnen-Epos – Rezension

Es gibt die Träume. Und es gibt das Erwachen. In diesem neuen, ungeträumten Leben kann man – kann sie – nicht alles haben:  streiten für eine bessere Welt, Gefahren trotzen, Kinder kriegen.

Weber, Anne: Annette – ein Heldinnen-Epos, S.151 Matthes&Seitz 2020

Dieses Zitat zeigt die Stärke des Romans „Annette – ein Heldinnen-Epos“, geschrieben von Anne Weber. Für dieses Buch hat die Autorin in diesem Jahr den Buchpreis erhalten und ist damit Startpunkt meines Leseprojektes zu allen Nominierten des Jahres 2020. Weber schildert die Lebensgeschichte der französischen Widerstandskämpferin Anne Beaumenoir. Jener ist die Autorin bei einer Veranstaltung begegnet und der geschilderte Lebensweg erzwang den Wunsch darüber zu schreiben.

Um was geht es?

Anne Beaumenoirs Lebensgeschichte wird schon in jungen Jahren vom Zweiten Weltkrieg beeinflusst. Früh träumte die Hauptfigur von einer Karriere als sozialistische Aktivistin, bevor sie sich dann mit 17 Jahren der Résistance, dem französischen Widerstand, anschloss. Als Mitglied dieser Gruppierung ist sie gezwungen ein Leben im Verborgenen zu führen, leistet mit den Mitteln des Ungehorsams eine Heldentat, als sie jüdische Jugendliche vor den Nationalsozialisten rettet. Im Anschluss an den Weltkrieg studiert sie Medizin und bekommt drei Kinder. Doch schon bald ist das gewählte Leben der Neurophysiologin wieder beendet. Die Normalität dieses Lebenslaufes scheint sie nicht auszufüllen und so zieht es sie in den Algerischen Unabhängigkeitskampf. In diesem Konflikt muss sie erkennen als Französin nicht grundsätzlich auf der moralisch richtigen Seite zu stehen, aber auch das jede Revolution ihre Opfer fordert. Gekonnt werden uns die moralischen Dilemmata aufgezeigt.

Mein Eindruck vom Buch

Anne Weber erzählt eine beeindruckende Lebensgeschichte und ich kann nachvollziehen, was die Autorin am realen Hintergrund so beeindruckte. Gleich zu Beginn ist festzuhalten, dass Weber schon mit ihrem Thema und dem Titel starke Akzente setzen. In einer Zeit, in der vom Philosophen Dieter Thomä darauf verwiesen wird, dass Demokratien Helden brauchen und man nicht im Zeitalter des Postheroismus leben sollte, setzt Weber eine Heldin in den Mittelpunkt. Natürlich sollte man auch heute noch Heldengeschichten erzählen und in diesem Falle sogar eine weibliche Heldin präsentieren. Mit der Titelwahl wird diese weibliche Rolle nochmals betont. Die uns präsentierte Heldinnengeschichte wird in der Form des Epos erzählt. Damit reiht sich die Autorin in einen historischen Kontext früherer Heldengeschichten ein. Doch wen diese Form nun abzuschrecken scheint, dem sei gesagt, dass dies nicht der Fall sein sollte. Im Gegenteil ich möchte gerade diese Form als positiv bezeichnen. Diente die klassische Form der Heldenverehrung, so ist dies bei Weber nicht die gewünschte Absicht. Stattdessen unterläuft sie den Kanon, erst durch die Wahl einer Heldin und dann dadurch, dass ihr Text an vielen Stellen frech und ironisch auftritt. Wir bekommen kein gereimtes Langgedicht zu lesen, sondern einen Text, der seine Leichtigkeit betont.

Mit der Form des Epos wollte sich die Autorin gezielt von der klassischen Biographie abgrenzen und dies ist ihr gelungen. Flexibel wird die Distanz zur Hauptfigur gewählt und dies stärkt die Darstellung der Ambivalenz des erzählten Lebens. Für mich ist gerade dies ein Grund Werbung für dieses Buch zu machen. Annette kämpft idealistisch für die gute Sache, was im Kampf gegen den Nationalsozialismus auch jedem einleuchtet. Doch schon mit ihrem Interesse für den Algerienkonflikt kippt diese Eindeutigkeit. Sie muss feststellen, dass aus dem Besetzten Frankreich nun ein Besatzer geworden und man auch in der Wahl der Mittel nicht zimperlich ist. Gleichzeitig ist auch der Kampf für die algerische Unabhängigkeit nicht ohne Gewalt durchzuführen. Es geht um die Abwägung der idealistischen Ziele gegenüber Kollateralschäden. Des Weiteren sind private Opfer zu erbringen, die Identität wird ins Verborgene geschoben. Diese Dilemmata lähmen unsere Hauptfigur jedoch nicht. Stattdessen wird gehandelt und dies steckt auch für mich, in dem von mir eingangs gewählten Textzitat. Egal welche Opfer unsere Heldin bringen muss, sie will handeln, auch in dem Wissen das Fehler geschehen werden. Und da dies alles dem Text in einer solch schönen Sprache gelingt, möchte auch ich die diesjährige Buchpreisgewinnerin zur Lektüre empfehlen.

Anne Weber:

Annette – Ein Heldinnenepos

Matthes&Seitz Verlag

ISBN: 978-3-95757-845-7

Preis: 22,00€

https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/annette-ein-heldinnenepos.html

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