Sahin, Cemile: Alle Hunde sterben – Rezension

Seitdem ich auf der Welt bin, gibt es Soldaten. Natürlich kamen sie nicht mit mir auf die Welt. Es gab sie schon davor. Aber seitdem ich denken kann, sind sie nicht wegzudenken.

Sahin, Cemile: Alle Hunde sterben, S.220 Aufbau Verlag 2020.

Cemile Sahin erzählt in ihrem zweiten Roman in neun Episoden von Menschen, die Opfer eines Krieges sind. „Alle Hunde sterben“ ist ein Mix aus Reportage, biografischen Erinnerungen und filmischen Sequenzen, die uns die Tragik eines Krieges vor Augen führen. Verbindendes Element des Geschilderten sind Angst und Verlust. Jedoch lässt der Text Raum zur Entfaltung von einzelnen Schicksalen, die gebündelt jedoch stellvertretend für Kriegsopfer stehen. Für mich als jemanden dem Krieg nur aus den Nachrichten bekannt ist, eine teils beklemmende Lektüre. Doch die Art der Darstellung sorgt dafür, dass man sich durch diese Schicksale gerne führen lässt.

Um was geht es?

Der Roman „Alle Hunde sterben“ erzählt in neun Episoden von Menschen, deren Leben durch Krieg geprägt ist. Sie haben Gewalt, Folter und Verschleppungen erlebt, mussten Verrat und Verluste verarbeiten und schildern diese prägenden Schicksale bis hin zu Folterszenen. Die Geschehnisse dienen als Ausgangspunkt für die Reflektionen der Figuren. Gelandet sind alle in einem Hochhaus, dass wie ein Querschnitt diese Schicksale präsentiert und durch die räumliche Grenze auch zusammenführt.

Mein Eindruck vom Buch

Cemile Sahin war mit ihrem Roman „Taxi“ eine meiner Entdeckungen meines letzten Lesejahres. Nicht ohne Grund landete so auch ihr zweiter Roman auf meinem Lesestapel. Wie in ihrem ersten Roman verwendet Sahin auch in diesem filmische Elemente als literarische Gestaltungsmittel. Zudem hat sie sich erneut nicht für die klassische Romanstruktur entschieden. Ort der Handlung ist ein Hochhaus in der Türkei. Allerdings empfinde ich diese Ortsangabe als nicht entscheidend. Cemile Sahin bearbeitet keinen türkischen Konflikt, sondern der Roman gibt Opfern eine Stimme, die jedwede kriegerische Auseinandersetzung mit sich bringt.

Wer die Ereignisse nicht ohne Fiktion erzählen kann hat sie nicht erlebt meint es nicht aufrichtig mit uns es gibt keine andere Erklärung für diese Bilder mehr.

Sahin, Cemile: Alle Hunde sterben, S.137 Aufbau Verlag 2020.

Mit diesem Zitat wird das ästhetische Grundprinzip des Textes ausgestellt. Die Schicksale wirken auf alle Außenstehenden so weit weg, dass man sie nur als Fiktion wahrzunehmen versteht. Wir bekommen Folter als Verletzung von Körper und Seele geschildert. Bestimmte Textstellen machen so betroffen, dass man inne halten muss bevor man weiterliest. Die Täter bleiben im Gegensatz zu den Opfern namenlos, werden aber in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen dargestellt. Dabei reflektiert der Roman auch, dass sich bei einem Bürgerkrieg das äußere Erscheinungsbild verändert. Die Täter müssen nicht äußerlich in Uniform erkennbar sein. Im Hochhaus kommen die Opfer auf engem Raum zusammen, beobachten die Straße, versuchen Verlust zu verarbeiten und auch die Angst das Peiniger wiederkehren.

Selbst wenn es regnet, reicht es nicht aus, und aus den Gefangenen werden keine Menschen mehr. Ich will besonnen sein, aber wenn du über diese Dinge Bescheid weißt, dann weißt du auch nicht mehr, was die Zukunft bringt. Irgendwie hat die Zukunft dann keinen Sinn. Damit meine ich: Die Zukunft ist klein, und das Gefängnis ist groß.

Sahin, Cemile: Alle Hunde sterben, S.84 Aufbau Verlag 2020.

Dieses Zitat bündelt die Reflektionen in der Feststellung, dass der Krieg und seine Auswirkungen die Träume nehmen und die Bereiche des Lebens minimieren. Nur die Realität des Krieges hier im Bild des Gefängnis dominiert die Figurenwahrnehmungen. Zutreffend und nüchtern formuliert dringt die Sprache in den Kopf der Leser*In. Als Glücklicher, der nie einen Krieg erleben musste, hinterlassen diese Worte Bilder und schaffen einen neuen Blick auf die Geschehnisse aus den Nachrichten. Krieg bedeutet vor allem eines, und das ist Verlust. Cemile Sahin gelingt es mit ihrem Buch ohne zu hohe Dramatik den Opfern eines Krieges Stimmen zu geben und sich damit nicht auf die Täter zu fokussieren. Für mich ist diese junge Autorin eine der spannendsten Stimmen der Deutschen Gegenwartsliteratur.

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Cemile Sahin:

Alle Hunde sterben

Aufbau Verlag

ISBN: 978-3-351-03827-4

Preis: 20,00€

https://www.aufbau-verlag.de/index.php/alle-hunde-sterben.html

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