Nielsen, Kaspar Colling: Der europäische Frühling – Rezension

„Der europäische Frühling“ ist ein überdrehter Collagenroman, der Provokationen präsentiert, aber auch zum Nachdenken über gesellschaftliche Herausforderungen anregt. Romane dieser Art leben davon sich auf sie einzulassen, ohne jeder Provokation nachzugeben. Dieser Roman ist etwas für Houellebecq-Fans!

Artikelserie „Erregungswelle“

Zorn, Wut, teils auch Beleidigungen sind heutzutage zu beobachtende Auswirkungen in gesellschaftlichen Debatten. Getrieben von Ungerechtigkeit oder Zurückweisungen eröffnet sich eine Empörungsspirale, welche die Debatte zu Problemen jedoch eher behindert, statt diese zu fördern. Zudem greifen rechts-gerichtete politische Parteien diese Grundstimmung gerne auf und beginnen Fakten gegen Meinungsmache auszuspielen. Die gefühlte gesellschaftliche „Erregungswelle“ spielt auch in Büchern eine wichtige Rolle. Der Roman „Der europäische Frühling“ widmet sich dieser Erregung, integriert sie jedoch auch als Prinzip des Romans. Manchmal hat das Buch auf mich wie ein Unfall gewirkt, bei dem man auch Ekel empfindet aber nicht wegsehen kann. Kasper Colling Nielsen gilt als eigenwillige Stimme der skandinavischen Literatur und dies zeigt sich an diesem Roman. Das Buch ist überdreht und präsentiert collagenartig eine bunte Mixtur an Themen. Genau dies hat mich das Buch dann auch in die Themenreihe „Gesellschaftliche Erregung“ einordnen lassen.

Um was geht es?

In einem zukünftigen Dänemark werden Investitionen in Zukunftsforschungen zu Künstlicher Intelligenz und Tieren getätigt. Zudem hat der dänische Staat erhebliche Probleme mit sozialen Unruhen, die man versucht durch radikale Trennung gesellschaftlicher Gruppen zu lösen. In Mosambik hat Dänemark eine Kolonie erworben, in der Migranten untergebracht werden. Gleichzeitig hat sich auf der Insel Lolland eine Gruppe Menschen angesiedelt, die eine Wohlstandssiedlung mit digitaler Überwachung aufbauen. Galerist Stig möchte mit seiner Familie in diese Siedlung ziehen und erhofft sich damit wieder mehr Ruhe in seinem Leben. Ihn belastet der Kunstbetrieb, den er zunehmend als leer und mutlos empfindet. Wichtigster Partner von Stig ist der Künstler Christian, der sich ebenfalls nach neuen Ideen sehnt. Daraus entwickelt sich eine wilde Mischung von Handlungssträngen, die sich mit möglichen Herausforderungen unserer Zukunft beschäftigen.

Mein Eindruck vom Buch

Der Roman mischt verschiedene dystopische Ansätze, setzt wildes Philosophieren in Gang, bietet pornografische Elemente und Kunstdiskussionen. Keiner der im Roman agierenden Charaktere kann sich einer moralischen Stabilität sicher sein. Die verschiedenen auftretenden Handlungsstränge setzen Spotlights zu gesellschaftlichen Themen und setzen immer wieder ein Nachdenken beim Lesen in Gang. Einige davon muss man als moralisch verwerflich eingruppieren und doch liest man die verschiedenen Argumentationswege. In der Figur des Stig zeigt sich jedoch exemplarisch, dass man moralische Stabilität nicht dauerhaft sichern kann. Vieles entpuppt sich als Schein. Die Handlungsstränge verlaufen parallel zueinander und verbinden sich netzartig in einer Struktur, die ökonomischen Prinzipien und Agieren folgt. Stig und seine Familie diskutieren über die Herausforderungen der Zukunft und die sozialen Unruhen. Hierbei strahlt nur die Tochter Souveränität im Umgang mit den Geschehnissen aus. Die Eltern verlieren sich in differenten Zielvorstellungen, wobei Stig konservativen Zeiten nachtrauert, während seine Frau ganz Neurologin Reiz an Zukunftsideen empfindet.

Nielsen gelingt es in einer collagenartigen all diese Stränge unterzubringen, ohne die Realität vollkommen zur Groteske zu überziehen. Absonderlich sind im Roman allerdings die Sexszenen um den Künstler Christian. Dieser lebt seine Sexsucht in einer Beziehung aus, welche den Roman auch nicht voranbringt. Dies schwächt aus meiner Sicht den Roman unnötig und lässt diesem Thema einzig und allein die Funktion der Provokation. Dieser Teil lässt auch den Vergleich mit Houellebecq etwas hinken, denn die überdrehten Passagen sollten nicht einzig und allein der Provokation dienen. Der Roman lässt mich mit vielen offenen Fragen zurück, aber hat es mit seiner Gestaltung geschafft mich herauszufordern und bei bestimmten Fragen wachzurütteln.

Kaspar Colling Nielsen:

Der europäische Frühling

Heyne Hardcore

ISBN: 978-3-453-27170-8

Preis: 22,00€

https://www.randomhouse.de/Buch/Der-europaeische-Fruehling/Kaspar-Colling-Nielsen/Heyne-Hardcore/e530534.rhd

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